Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. In einer Entscheidung des BAG aus September 2008 hat der zuständige 2. Senat seine ständige Rechtsprechung nochmals präzisiert und im Einzelnen aufgeführt, welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers zu stellen sind (BAG, Urt. v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06). Die gut formulierte Entscheidung gibt der Praxis konkrete Beurteilungsrichtlinien für die Anforderungen an eine wirksame fristlose Kündigung an die Hand.
Der Sachverhalt der Entscheidung:
Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber als Luftfrachtabfertiger seit 4. November 2002 aufgrund eines bis zum 31. Oktober 2003 befristeten Arbeitsvertrages beschäftigt. Der Arbeitgeber erbringt Luftfrachtabfertigungsdienstleistungen für große Fluggesellschaften auf dem Flughafen Frankfurt.
Am 31. Mai 2003 kam es während der Arbeitszeit zwischen dem Kläger, der an diesem Tag als Gabelstaplerfahrer eingesetzt war, und seinem Kollegen A zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf beide Arbeitnehmer blutende Verletzungen erlitten und anschließend ärztlich versorgt werden mussten. Der das Hausrecht ausübende Flughafen sprach gegenüber beiden Arbeitnehmern ein endgültiges Hausverbot aus. Der Vorfall wurde durch die Flughafenpolizei und den Werkschutz des Flughafens aufgenommen.
Der Kläger stellte gegen seinen Kollegen Strafanzeige. Das Ermittlungsverfahren wurde nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Im Ermittlungsverfahren machten die unmittelbaren Zeugen der Auseinandersetzung schriftliche Angaben.
Nach Anhörung des Betriebsrats am 2. Juni 2003, der hierzu keine Stellungnahme abgab, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 6. Juni 2003 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Das Arbeitsverhältnis mit dem anderen an der Auseinandersetzung beteiligten Arbeitnehmer wurde ebenfalls fristlos gekündigt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Angelegenheit zur nochmaligen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. Grundsatz: Tätlichkeiten rechtfertigen fristlose Kündigung
Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch die tätlichen Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Der Arbeitgeber darf dabei auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht.
Hinweis für die Praxis:
Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung. Der Arbeitnehmer weiß von vornherein, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbilligt. Insbesondere bei schweren Tätlichkeiten genügt schon ein einmaliger Vorfall, ohne dass der Arbeitgeber noch eine Wiederholungsgefahr begründen und den Arbeitnehmer zuvor abmahnen müsste. Aus diesen Gründen besteht auch keinerlei Pflicht, den Arbeitnehmer an einem anderen freien Arbeitplatz weiterzubeschäftigen, statt ihm zu kündigen.
II. Unfreiwillige Verwicklung eines Arbeitnehmers in eine Schlägerei
Bei unfreiwilligen Verwicklungen eines Arbeitnehmers in Schlägereien ist zu differenzieren. Die aktive Beteiligung eines Arbeitnehmers an tätlichen Auseinandersetzungen kann einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen. Es ist nicht entscheidend, ob der Arbeitnehmer als unmittelbarer Angreifer die Schlägerei angezettelt hat. Soweit nicht eine Notwehrlage bestanden hat, ist es deshalb regelmäßig unerheblich, wer den ersten Schlag ausführt und welche Handlung zu einer Körperverletzung führt.
Fehlt es demgegenüber an einer erheblichen aktiven Beteiligung, kann allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten zur Verschärfung eines verbalen Konflikts beigetragen hat, der in Tätlichkeiten mündete, eine fristlose Kündigung an sich nicht rechtfertigen. Ausnahmen gelten allenfalls bei schwerwiegenden Beleidigungen oder aber durch sonstige Provokationen.
Hinweis für die Praxis:
Arbeitnehmer trifft eine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (vgl. auch § 241 Abs. 2 BGB). Im Interesse des Arbeitgebers haben sich daher alle Arbeitnehmer am Arbeitsplatz Auseinandersetzungen mit Arbeitskollegen soweit wie möglich zu enthalten und sich einer eskalierenden Situation möglichst frühzeitig zu entziehen. Andernfalls droht die fristlose Kündigung.
III. Spezielle Beweisfragen
Der Arbeitgeber ist als der Kündigende darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die als wichtige Gründe in Betracht kommen und auf die er die Kündigung stützt. Dies gilt nach der Rechtsprechung auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.
Aber: Liegen die Geschehensabläufe außerhalb der möglichen Kenntnis des Arbeitgebers, trifft den Arbeitnehmer eine so genannte sekundäre Beweislast. Diese Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers besteht immer dann, wenn er selbstbestimmte Kenntnis hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind. Kommt er dann dieser sekundären Beweislast in einer Prozesslage nicht nach, gelten die Behauptungen des Arbeitgebers als zugestanden.
Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber, der keine eigene Sachkenntnis hat, kann sich zunächst mit seinem Vortrag auf die Beteiligung des Arbeitnehmers an der tätlichen Auseinandersetzung stützen. Der Arbeitnehmer ist dann gehalten, sich im Kündigungsrechtsstreit im Rahmen seiner sekundären Vortragslast soweit wie möglich zum Anlass und zum Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung zu erklären. Kommt er dieser Vortragslast nicht nach, wird der Vortrag des Arbeitgebers als zugestanden angesehen.
Im vorliegenden Fall hatte sich der Arbeitnehmer konkret eingelassen und ist dieser sekundären Beweislast nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Grundsatz nachgekommen. Aus diesem Grunde wurde der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.
IV. Beteiligung des Betriebsrats: Fristen beachten!
Schließlich noch ein kurzer Hinweis zur Betriebsratsanhörung. Der Arbeitgeber hatte fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Betriebsrat hatte keine Stellungnahme abgegeben. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber die Anhörungsfristen des Betriebsrats auslaufen lassen, bevor er wirksam kündigen kann. Bei einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung laufen aber zwei Fristen: Die dreitägige Anhörungsfrist für die fristlose Kündigung und die einwöchige Anhörungsfrist für die hilfsweise ordentliche Kündigung (§ 102 BetrVG). Der Arbeitgeber hatte aber die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung schon vier Tage nach der Anhörung ausgesprochen. Damit war die einwöchige Anhörungsfrist noch nicht abgelaufen. Wegen dieses Fehlers ist die hilfsweise ordentliche Kündigung bereits wegen mangelhafter Betriebsratsanhörung von vornherein nach § 102 BetrVG unwirksam gewesen.
Hinweis für die Praxis:
Bei einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung laufen zwei unterschiedliche Anhörungsfristen, drei Tage und eine Woche. Beide Fristen müssen eingehalten und beachtet werden. In Zweifelsfällen sollten getrennte Kündigungsschreiben aufgesetzt werden, um formale Fehler zu vermeiden.
Fazit:
Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen droht grundsätzlich die fristlose Kündigung. Die Rechtsprechung ist hier äußerst streng. Die vorliegende Entscheidung macht aber deutlich, dass nicht jede Beteiligung an einer Schlägerei automatisch zur fristlosen Kündigung führt. Der Tatbeitrag und ggf. die unfreiwillige Verwicklung in eine Schlägerei müssen festgestellt und geprüft werden. In der Praxis kann bei Schlägereien daher nur empfohlen werden, alle beteiligten Arbeitnehmer und infrage kommenden Zeugen ausführlich und präzise zu befragen, um den Sachverhalt umfassend aufzuklären.
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