Das Bundesarbeitsgericht hat bekanntlich seine langjährige Rechtsprechung zu Gleichstellungsabreden im Jahre 2007 endgültig aufgegeben (Vgl. BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05). Dieser tiefgreifende Rechtsprechungswandel hat in der arbeitsrechtlichen Literatur erhebliche Kritik erfahren. Dennoch hält das BAG an seiner Rechtsprechung fest. In einer aktuellen Entscheidung hat der zuständige 4. Senat alle Argumente nochmals diskutiert und deutlich gemacht, dass die Rechtsprechungsänderung unverändert beibehalten wird (BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 4 AZR 793/07). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die Grundsätze des BAG nochmals für die Praxis aufzubereiten.
Der Sachverhalt der Entscheidung:
Der klagende Arbeitnehmer war Mitglied der IG-Metall und seit dem 1. April 1964 in Vollzeit als Schlosser bei dem beklagten Arbeitgeber und seinen Rechtsvorgängern beschäftigt. In dem Prozess streiten die Parteien über die Geltung eines tariflichen Lohnabkommens für das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis und daraus resultierende Vergütungsansprüche des Klägers.
Am 2. Mai 2000 schlossen der Kläger und einer der Rechtsvorgänger des Arbeitgebers einen Formulararbeitsvertrag. In diesem Vertrag lautet es auszugsweise wie folgt:
„Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen für die metallverarbeitende Industrie im Lande NRW Anwendung.“
Nach diesem Vertragsschluss im Jahre 2002 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf den zu diesem Zeitpunkt tarifgebundenen beklagten Arbeitgeber über. Dieser war jedenfalls bis zum 31. Dezember 2005 Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbandes. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob er ab dem 1. Januar 2006 noch tarifgebundenes Mitglied war oder ob er ab diesem Zeitpunkt wirksam eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung – so genannte OT-Mitgliedschaft – begründet hatte.
Im April 2006 vereinbarte der Verband ein neues Lohnabkommen. Nach diesem Lohnabkommen stand allen Vollzeitbeschäftigten eine tarifliche Einmalzahlung in Höhe von 310,00 € brutto und mit Wirkung ab 1. Juni 2006 eine Erhöhung des Ecklohnes um 3 % zu. Diese Lohnforderungen machte der Arbeitnehmer auf dem Klagewege geltend.
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hingegen im Berufungsverfahren stattgegeben.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat das Landesarbeitsgericht bestätigt und klargestellt, dass der Klage zu Recht entsprochen wurde.
I. Alte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede
Eine Gleichstellungsabrede im Sinne der nun nicht mehr geltenden bisherigen Rechtsprechung des BAG beinhaltete eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag. Mit der Gleichstellungsabrede wollte der Arbeitgeber die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig davon, ob sie tarifgebunden waren oder nicht, so stellen, als wären sie an dieses Tarifwerk gebunden. Die dahingehende Auslegung einer Bezugnahmeklausel und Gleichstellungsabrede setzte freilich voraus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Vereinbarung der Bezugnahme selbst an den in Bezug genommenen Tarifvertrag tarifgebunden war. Nur dann hatte er die Pflicht, gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern den in Bezug genommenen Tarifvertrag anzuwenden. Und nur unter dieser Voraussetzung konnte sich für ihn ein durch den Wegfall seiner Tarifgebundenheit auflösend bedingtes Interesse ergeben, die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer mit den Tarifgebundenen gleichzustellen, d.h. sie vertragsrechtlich so zu stellen, wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer nach § 4 Abs. 1 TVG tarifrechtlich steht.
Hinweis für die Praxis:
Die Gleichstellungsabrede bewirkte stets, dass der Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers auch zu einem Wegfall der Dynamik führte. War ein ursprünglich tarifgebundener Arbeitgeber nicht mehr tarifgebunden, fiel der Gleichstellungszweck weg. Dies führte dazu, dass spätere Tarifänderungen wegen des Gleichstellungszwecks nicht mehr an die betroffenen Arbeitnehmer – entgegen dem Wortlaut der Klausel – weitergegeben werden mussten.
II. Rechtsprechungsänderung
Diese Rechtsprechung wendet das Bundesarbeitsgericht nun nicht mehr uneingeschränkt an. Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf die jeweils geltenden tariflichen Bestimmungen ist nun immer dann, unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers, eine verbindliche Verweisungsklausel. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist. Der Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder ein sonstiger Wegfall der Tarifgebundenheit müssen also in der Klausel als Gleichstellungszweck ausdrücklich und klar verständlich zum Ausdruck kommen; andernfalls handelt es sich um eine so genannte unbedingte zeitdynamische Verweisung im Sinne der neueren Rechtsprechung mit der Folge, dass ein Verbandsaustritt keinerlei vertragsrechtliche Wirkungen verursacht.
Hinweis für die Praxis:
Diese Rechtsprechungsänderung hat der 4. Senat bereits am 14. Dezember 2005 angekündigt und dann mit seiner Entscheidung vom 18. April 2007 tatsächlich umgesetzt. Nunmehr gilt: Eine individualvertragliche Klausel, die ihrem Wortlaut nach ohne Einschränkung auf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung verweist, ist im Regelfall dahingehend auszulegen, dass dieser Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung gelten soll und dass diese Geltung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt oder sonst für beide Parteien ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden sind.
III. Vertrauensschutz
In der Literatur wurde nun im Anschluss an diese Rechtsprechungsänderung vielfach gefordert, den betroffenen Arbeitgebern Vertrauensschutz einzuräumen. Die Rechtsprechungsänderung könne frühestens ab der Ankündigung, also dem 14. Dezember 2005 und besser noch ab der späteren Entscheidung vom 18. April 2007 umgesetzt werden. Bis dahin müsse allen Arbeitgebern für die bis zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Arbeitsverträge Vertrauensschutz eingeräumt werden.
Dem ist das Bundesarbeitsgericht nicht gefolgt. Die neue Rechtsprechung gilt nunmehr für alle Verträge, die nach der Einführung der AGB-Kontrolle zum 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden. Der Gesetzgeber habe mit der AGB-Prüfung im Arbeitsrecht einen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Er habe eine nachhaltige Aufforderung an die Verwender von Formulararbeitsverträgen erhoben, das von ihnen Gewollte auch in der entsprechenden verständlichen Form eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Ab diesem Zeitpunkt hätten deshalb Arbeitgeber alle Härten zu tragen, die aus einer Differenz zwischen dem Erklärten und dem tatsächlich Gewollten resultierten.
Fazit:
Arbeitsverträge, die nach dem 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden, sind allein nach ihrem Wortlaut zu beurteilen. Dynamische Bezugnahmeklauseln verfolgen seit dem nur noch dann einen Gleichstellungszweck, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers deutlich zur auflösenden Bedingung gemacht worden ist. Andernfalls hat ein späterer Verbandsaustritt des Arbeitgebers keinerlei Auswirkungen auf die zeitdynamische Bezugnahme. Bei der Formulierung von neuen Verträgen haben Arbeitgeber daher zweierlei zu beachten: Zunächst muss man sich darüber im Klaren werden, welche Ziele mit dem Arbeitsvertrag eigentlich verfolgt werden. In einem zweiten Schritt sind dann diese Ziele in geeignete vertragliche Formulierungen umzusetzen. Bei der Klauselformulierung ist die aktuelle Rechtsprechung des BAG sorgfältig auszuwerten und anzuwenden.
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