Bildet ein Mutterunternehmen als Organträgerin mit einem Tochterunternehmen als Organgesellschaft eine umsatzsteuerliche Organschaft und veräußert das Mutterunternehmen seine Beteiligung an dem Tochterunternehmen, so stellt sich regelmäßig die Frage nach der Berechtigung für den Vorsteuerabzug aus Lieferungen und Leistungen, die vor dem Verkauf der Beteiligung an das Tochterunternehmen durch Dritte erbracht, aber erst nach dem Verkauf in Rechnung gestellt worden sind. Die Frage stellt sich – wie im entschiedenen Fall – insbesondere auch dann, wenn die Organgesellschaft nach dem Beteiligungsverkauf unmittelbar wiederum Organgesellschaft einer anderen Organträgerin wird.
Mit seiner Entscheidung vom 13.05.2009 (Az. XI R 84/07) hat sich der BFH erstmals zur Frage der Zurechnung des Anspruchs auf Vorsteuerabzug nach dem Ende der bisherigen Organschaft durch Organträgerwechsel geäußert.
I. Das Problem
Eine umsatzsteuerliche Organschaft liegt nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, wenn eine juristische Person (Organgesellschaft), die nach außen selbständig auftritt, nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen (Organträger) eingegliedert ist. Folge der umsatzsteuerlichen Organschaft ist, dass die Organgesellschaft zwar zivilrechtlich selbst aus den, von ihr abgeschlossenen Verträgen berechtigt und verpflichtet ist, umsatzsteuerrechtlich allerdings selbst nicht Unternehmerin ist. Sämtliche Umsätze der Organgesellschaft werden vollständig dem Organträger zugerechnet, der umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer und Umsatzsteuerschuldner ist. Korrespondierend dazu steht dem Organträger der alleinige Vorsteuerabzug aus den gegenüber der Organgesellschaft bewirkten Lieferungen und Leistungen zu.
Bis zur Entscheidung des BFH war höchstrichterlich nicht geklärt, welchem Organträger das Recht zum Vorsteuerabzug zusteht, wenn der Organträger infolge einer Veräußerung der Anteile an der Organgesellschaft zeitlich nach dem Bezug einer Leistung durch die Organgesellschaft, aber noch vor Erhalt der Rechnung wechselt. In der Literatur wurde überwiegend vertreten, dass die Vorsteuer aus Leistungen, die die Organgesellschaft während des Bestehens der ersten Organschaft bezogen hat, für die die Rechnung aber erst nach Beendigung der Organschaft zugeht, nicht mehr dem ehemaligen Organträger zustehen.
Dem ist der BFH jetzt ausdrücklich entgegengetreten und entschied unter Berücksichtigung der 77/388/EWG (nunmehr MwStSystRL), dass das Recht zur Ausübung des Vorsteuerabzugs dem ursprünglichen Organträger zusteht.
II. Der Fall
Die P GmbH gehörte zunächst zum Organkreis der X (ursprüngliche Organträgerin). Im Jahre 1997 verkaufte die X ihre Geschäftsanteile an der P-GmbH an eine zum Konzern der Käuferin (neue Organträgerin) gehörende Gesellschaft.
Die P-GmbH hatte im Jahr 1997 und im Januar 1998 von der Firma H Leistungen bezogen. Eine Rechnungsstellung durch die H erfolgt erst nach dem 01.02.1998.
Die Klägerin (Käuferin) machte die Vorsteuerbeträge aus den an die P-GmbH gerichteten Rechnungen der H gegenüber dem beklagten Finanzamt geltend. Das beklagte Finanzamt lehnte einen Vorsteuerabzug mit der Begründung ab, dass der Leistungsbezug und der daraus resultierende Vorsteuerabzug der X als bisheriger Organträgerin zu zurechnen sei.
Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Finanzamts.
III. Die Entscheidung
Der BFH urteilte, dass die Klägerin als neue Organträgerin nicht den Abzug der Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen beanspruchen kann, die von der Organgesellschaft bereits vor dem Beginn der zweiten (neuen) Organschaft bezogen, aber erst während des Bestehens der neuen Organschaft in Rechnung gestellt wurden.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH verweist der BFH darauf, dass grundsätzlich zwischen der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug und dessen Ausübung zu unterscheiden sei. Denn die Erteilung einer Rechnung über erbrachte Leistungen hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts sondern dient vielmehr dazu, dass der Leistungsempfänger sein bereits entstandenes Vorsteuerabzugsrecht ausüben kann.
Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr MwStSystRL) sobald die Lieferung des Gegenstandes oder die Dienstleistung bewirkt wird. Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist dann an die materiell-rechtliche Voraussetzung des Besitzes der Originalrechnung oder des Dokuments geknüpft. Daraus folgt, dass die Ausübung des Vorsteuerabzugs grundsätzlich erst für den Erklärungszeitraum vorgenommen werden kann, in dem beide Voraussetzungen, d. h. neben dem Leistungsbezug auch der Besitz der Originalrechnung, erfüllt sind.
Aufgrund des Bestehens der Organschaft im Zeitpunkt des Leistungsbezugs durch die Organgesellschaft entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug in der Person des – zu diesem Zeitpunkt beherrschenden – Organträgers, hier der X. Der zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs beherrschende Organträger ist dann auch grundsätzlich aus Rechnungen, die zu einem späteren Zeitpunkt an die Organgesellschaft gerichtet werden, zur Ausübung des Vorsteuerabzugs berechtigt. Ein zwischen dem Zeitpunkt des Leistungsbezug und der Rechnungsstellung erfolgter Organträgerwechsel ist aufgrund der Akzessorietät der Rechnung zum Leistungsbezug unbeachtlich.
Eine Verletzung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität verneint der BFH, da maßgeblich für die Frage der vollständigen Entlastung von der im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit geschuldeten und entrichteten Mehrwertsteuer grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs seien.
IV. Hinweis zur Gestaltung bei Anteilsverkäufen
Um spätere Nachweisschwierigkeiten über die Berechtigung zur Ausübung des Vorsteuerabzugs durch die ursprüngliche Organträgerin vorzubeugen, sollte durch eine kaufvertragliche Regelung im Rahmen der Anteilsveräußerung sichergestellt werden, dass der Zugriff durch die ursprüngliche Organträgerin auf die, an die Organgesellschaft gerichteten Originalrechnungen möglich bleibt. Zu empfehlen ist die Vereinbarung eines entsprechenden Herausgabeanspruchs gegenüber der Organgesellschaft sowie der neuen Organträgerin.
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BFH ist es anzuraten, im Falle der Veräußerung von Geschäftsanteilen an der Organgesellschaft wegen der noch nicht in Rechnung gestellter Leistungsbezüge der Organgesellschaft eine Abrede im Hinblick auf etwaige Ausgleichansprüche gegenüber dem ursprünglichen Organträger zu treffen. Denn ansonsten ist die bereits verkaufte Tochtergesellschaft zivilrechtlich verpflichtet, die von Dritten in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zu zahlen, was wirtschaftlich den neuen Organkreis belastet, den Vorsteuerabzug aber darf nur die frühere Organträgerin vornehmen. Die sich somit ergebende wirtschaftliche Verwerfung kann nur durch vertragliche Regelungen aufgefangen werden.
Wenig hilfereich wird eine solche Vereinbarung allerdings sein, wenn über das Vermögen des ursprünglichen Organträgers zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. In diesem Fällen haftet die Organgesellschaft in vollem Umfang für die während des Bestehens der ursprünglichen Organschaft entstandenen Umsatzsteuern. Auch das würde im wirtschaftlichen Ergebnis nur noch den neuen Organkreis belasten.
Verfasser: Rechtsanwalt & Steuerberater Andreas Jahn, Rechtsanwältin Dorothée Gierlich, MEYER-KÖRING -Bonn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023)
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2021)
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