13.08.2009 -

 

Das Recht der anzeigepflichtigen Massenentlassung nach §§ 17 ff. KSchG wurde durch die Junk-Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2005 und der sich anschließenden Rechtsprechung des BAG vollständig neu gestaltet. Unter „Entlassung“ im Sinne der Norm verstand man nicht mehr die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern den Tatbestand der „Kündigung“. Die Schwellenwerte anzeigepflichtiger Massenentlassungen werden damit durch den Ausspruch der Kündigungen herbeigeführt. Das BAG (BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07) hat nun die seit dieser neuen Rechtsprechung streitige Frage zur Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG entschieden, ob nämlich die einmonatige Entlassungssperre den Ausspruch einer Kündigung hindert bzw. die Kündigungsfrist um den Lauf der Sperrfrist verlängert. Die Entscheidung sorgt damit für weitere Rechtssicherheit.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der beklagte Arbeitgeber betreibt ein Fuhrunternehmen, das Transporte im nationalen und internationalen Fernverkehr durchführt. Neben dem klagenden Arbeitnehmer beschäftigte der Beklagte zuletzt noch 23 Kraftfahrer sowie drei Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich, insgesamt also 27 Personen.

Am 25. April 2006 beschlossen die Gesellschafter des Beklagten die Stilllegung des Betriebs zum 30. September 2006. Schon am nächsten Tage zeigte der Beklagte bei der Arbeitsagentur Dessau die beabsichtigte Massenentlassung der insgesamt 27 Mitarbeiter an. Mit Bescheid vom 24. Mai 2006 teilte die Agentur für Arbeit dem beklagten Arbeitgeber mit, die gem. § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Monatsfrist beginne am 27. April 2006 und ende am 26. Mai 2006.

Der Arbeitgeber hatte schon am 27. April 2006 die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter unter Einhaltung der jeweiligen Kündigungsfrist gekündigt. Der hier klagende Arbeitnehmer erhielt an diesem Tage sein Kündigungsschreiben zum 30. September 2006. Mit seiner Klage machte er geltend, dass selbst dann, wenn ein betriebsbedingter Grund zur Kündigung vorliegen würde, die Kündigung das Arbeitsverhältnis frühestens einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist auflösen könne. Die Sperrfrist sei zu der individuellen Kündigungsfrist noch hinzuzuaddieren.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Klage abgewiesen.

 

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts bestätigt.

 

I. Sperrfrist und Massenentlassung

Die Entlassungssperre des § 18 Abs. 1 KSchG bewirkt, dass Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam werden. Bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist kann eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung daher keine Wirkung entfalten. Die Kündigung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam. Sie beendet das Arbeitsverhältnis, sofern dieses Ende vor dem Ende der Sperrfrist liegen sollte, nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Kündigung kann trotz der einmonatigen Sperrfrist (im Fall des § 18 Abs. 2 KSchG zwei Monate) dennoch schon unmittelbar nach Erstattung der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Gesetzesfassung verbietet den Ausspruch der Kündigung vor dem Ablauf der Sperrfrist nicht. Dies gilt ausdrücklich auch unter der geänderten Rechtsprechung des EuGH und des BAG, wenn man unter „Entlassung“ im Sinne der Norm die Kündigung versteht.

 

II. Mindestzeitraum zwischen Anzeigenerstattung und tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Das Wirksamwerden im Sinne von § 18 KSchG bezieht sich auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung. Diese treten mit Ablauf der Kündigungsfrist ein. Der Gesetzeswortlaut umschreibt nur einen „Mindestzeitraum“, der zwischen der Anzeigenerstattung und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen muss.

Mit anderen Worten:Von der Sperrfrist werden nur solche Kündigungen unmittelbar erfasst, deren Kündigungsfristen kürzer als die Sperrzeit sind. In der Praxis hat die Vorschrift damit kaum Bedeutung und betrifft nur Arbeitnehmer mit äußerst kurzen Betriebszugehörigkeitszeiten.

 

III. Keine Verlängerung der Kündigungsfrist

Die Sperrfrist des § 18 KSchG dient primär arbeitsmarktpolitischen Zwecken und soll der Arbeitsverwaltung die Möglichkeit verschaffen, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder wenigstens zur Verzögerung von Belastungen des Arbeitsmarktes einzuleiten und für anderweitige Beschäftigungen der Entlassenen zu sorgen. Hiervon ausgehend besteht kein Bedürfnis, die Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG der individuellen Kündigungsfrist des betroffenen Arbeitnehmers, sofern diese über einem Monat liegt, noch hinzuzuaddieren. Der Agentur für Arbeit steht die insoweit gesetzlich geregelte Frist für die Erfüllung ihrer arbeitsmarktpolitischen Aufgaben ohne weiteres und hinreichend zur Verfügung. Dem steht auch nicht die Regelung des § 18 Abs. 4 KSchG entgegen. Diese Regelung beinhaltet lediglich, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, die Kündigungen innerhalb einer 90-Tages-Frist in die Tat umzusetzen, also zu erklären. Mit dieser Erklärungsfrist sollen Vorratsmeldungen verhindert werden und der Agentur für Arbeit eine entsprechende Planbarkeit garantieren.

 

Fazit:

Die Anzeigepflicht einer Massenentlassung richtet sich nach der Anzahl der auszusprechenden Kündigungen. Werden innerhalb von 30 Kalendertagen die in § 17 Abs. 1 KSchG aufgeführten Schwellenwerte erreicht, liegt eine anzeigepflichtige Massenentlassung vor. Die Entlassungssperre des § 18 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG bewirkt lediglich, dass innerhalb der Sperrfrist eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung keine Wirkung entfalten kann. Nach Ablauf der Frist entfällt aber diese Entlassungssperre. Es besteht kein Bedürfnis, die Monatsfrist der individuellen Kündigungsfrist noch hinzuzuaddieren.

 

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