30.07.2009 -

 

Die Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten kann der Arbeitgeber abmahnen. Mit der Abmahnung wird der Arbeitnehmer auf seine vertraglichen Pflichten hingewiesen und zugleich für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten aufgefordert. Im Wiederholungsfall droht die Kündigung. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus November 2008 (BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 2 AZR 675/07)nunmehr die Anforderungen an eine Abmahnung wegen quantitativer Minderleistungen präzisiert.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

In dem Rechtsstreit streiten die Parteien über die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte. Der Arbeitnehmer war bereits seit 1980 bei dem beklagten Versicherungsunternehmen, zuletzt als Agenturleiter im Bereich der Vertriebsdirektion S., beschäftigt.

Die Leistungen ihrer Agenturleiter bemisst der Arbeitgeber beim Vertrieb der Produkte in so genannten Nettowerteinheiten (NWE). Nach den Angaben des Arbeitgebers ergeben sich die NWE aus Zahl und Werthaltigkeit der vermittelten Produkte in einem bestimmten Zeitraum. Für die unterschiedlichen Versicherungsprodukte werden nach ihrem jeweiligen wirtschaftlichen Wert unterschiedliche Zahlen in Ansatz gebracht.

Der Arbeitgeber erteilte dem Arbeitnehmer am 3. Mai 2006 eine Abmahnung. Die Abmahnung hatte folgenden Inhalt:

„Sehr geehrter Herr S,

wir müssen feststellen, dass Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt haben, indem Sie seit geraumer Zeit lediglich weit unterdurchschnittliche Arbeitsergebnisse erzielen.

Die Produktion Ihrer Agentur betrug in der Zeit vom 01.04.2005 bis zum 31.03.2006 insgesamt 962 Nettowerteinheiten (NWE).

Der Umfang des von Ihnen vermittelten Neugeschäftes lag damit deutlich unter dem Durchschnitt der anderen in der Vertriebsdirektion S tätigen Partnerverkäufer, der im gleichen Zeitraum 2.474,92 NWE betrug.

Für diese Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten mahnen wir Sie ab. Wir fordern Sie auf, künftig Ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in vollem Umfang gerecht zu werden.

Insbesondere fordern wir Sie auf, unverzüglich – bezogen auf die in der Vertriebsdirektion S tätigen Partnerverkäufer – mindestens durchschnittliche und bestandsfeste Produktionsergebnisse zu erzielen.

Sollten Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, müssen Sie mit weiteren Maßnahmen bis hin zu einer Kündigung rechnen.“

Abmahnungsschreiben ähnlichen Inhalts gingen auch anderen Agenturleitern mit unterdurchschnittlichen Ergebnissen zu. Von den 45 Agenturleitern der Vertriebsdirektion S. haben 27 den Durchschnitt unterschritten, 17 davon um mehr als 1/3. Dabei erzielte der Agenturleiter mit dem geringsten Erfolg 329 NWE, während der höchste Wert 6.200 betrug.

Der Arbeitnehmer hat klageweise die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte geltend gemacht. Er habe seine arbeitsvertragliche Pflicht nicht verletzt. Der Arbeitgeber habe tatsächlich keine Minderleistung abgemahnt, sondern lediglich unterdurchschnittliche Ergebnisse. Eine arbeitsvertragliche Pflicht, die Durchschnittshöhe der NWE zu erreichen, bestehe aber nicht.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

 

Die Entscheidung des BAG:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

 

I. Quantitative Minderleistungen müssen nicht aufgeführt werden!

Pflichtverletzungen müssen in einer Abmahnung grundsätzlich so konkret wie möglich beschrieben und aufgeführt werden. Nur wenn die Fehler des Arbeitnehmers in dieser Art und Weise beschrieben werden, ist die Abmahnung nicht unwirksam. Pauschale Vorhaltungen wie z.B. „Sie kommen ständig zu spät“ sind unbeachtlich und führen zur Unwirksamkeit der Abmahnung.

Bei quantitativen Minderleistungen hat das Bundesarbeitsgericht nun aber entschieden, dass die konkreten zur Minderleistung führenden Einzelpflichtverletzungen in der Abmahnung nicht bezeichnet werden müssen. Bei der quantitativen Minderleistung besteht die Besonderheit, dass für den Arbeitgeber oft nur schwer ersichtlich ist, worauf sie beruht. Dies gilt insbesondere bei Außendienstmitarbeitern im Vertriebsbereich.

Die Anforderungen an die Konkretisierung der in einer Abmahnung enthaltenen Rüge müssen sich an dem orientieren, was der Arbeitgeber wissen kann. Bei der quantitativen Minderleistung sind dies die Arbeitsergebnisse und deren erhebliches Zurückbleiben hinter den Leistungen vergleichbarer Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber kann also rügen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit pflichtwidrig nicht ausschöpft.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Frage, ob dieser Vorwurf berechtigt ist, kann natürlich von dem Arbeitnehmer angegriffen und im Abmahnungsprozess geklärt werden. Dieser Abmahnungsprozess ist nach den Grundsätzen zu klären, die das Bundesarbeitsgericht für Kündigungen wegen Minderleistungen aufgestellt hat. Die Minderleistung aufgrund mangelnder Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit ist damit bereits als solche eine abmahnungsfähige Pflichtverletzung.

 

II. Keine Verpflichtung zu durchschnittlichen Ergebnissen

Die Abmahnung war aber im vorliegenden Fall schon deshalb aus der Personalakte zu entfernen, weil sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruhte. Mit der Abmahnung forderte der Arbeitgeber den Kläger auf, „durchschnittliche Produktionsergebnisse“ zu erzielen. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nicht. Der Arbeitnehmer ist nicht zur Erzielung bestimmter Arbeitserfolge verpflichtet. Die Aufforderung in einer Abmahnung kann daher nicht dahingehen, bestimmte Erfolge zu erzielen, sondern die persönliche Leistungsfähigkeit auszuschöpfen. Die Unterdurchschnittlichkeit der bisher erzielten Ergebnisse ist lediglich ein Indiz für die Minderleistung.

 

III. Arbeitserfolge müssen messbar sein

Der Arbeitgeber hatte sich auf die Durchschnittswerte der anderen Arbeitnehmer berufen. Diese Taktik ist für Arbeitgeber mit erheblichen Risiken verbunden. In Zahlen gemessene Arbeitserfolge können nämlich über die Frage, ob der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft, nur dann etwas aussagen, wenn sie unter in etwa gleichen Bedingungen erzielt werden. Jeder Arbeitnehmer, der sich am Durchschnitt messen lassen soll, muss in etwa die gleiche Chance haben, durchschnittliche Erfolge zu erzielen.

Dies war im vorliegenden Fall anders. Die Chance, Versicherungsverträge zu akquirieren, hängt vom Standort der Agentur, der personellen Ausstattung, der Finanzkraft der erreichbaren Kundschaft und weiteren Kriterien ab. Dass keine gleichen Chancen bestanden, zeigte sich an dem außergewöhnlich weiten Auseinanderklaffen des Höchstwertes (6.200 NWE) und des niedrigsten Wertes (329 NWE). Der Mittelwert zwischen diesen extremen Größen (19-facher Unterschied!) lässt keine sinnvolle Aussage über das Leistungsverhalten der Arbeitnehmer zu.

 

Fazit:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Abmahnung wegen quantitativer Minderleistungen macht einmal mehr deutlich, dass der Ausspruch von Abmahnungen für den Arbeitgeber stets mit erheblichen Risiken verbunden ist. Abmahnungen sind nur dann wirksam, wenn der Sachverhalt sorgfältig aufbereitet und recherchiert wird. Der Text der Abmahnung muss klar und verständlich sein und darf sich nicht mit pauschalen Vorhaltungen begnügen. Je unsicherer die Sachverhaltsaufklärung bei Minderleistungen ist, desto höher ist das Risiko der Unwirksamkeit der Abmahnung.

 

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