26.07.2009 -

 

Die Elternzeit ist im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) geregelt, früher Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG). Bei der Inanspruchnahme der Elternzeit und Fragen der Übertragung und vorzeitigen Beendigung treten immer wieder Konstellationen auf, die in den gesetzlichen Vorschriften nicht eindeutig geregelt sind und daher die Rechtsprechung beschäftigen. Das Landesarbeitsgericht München (LAG München, Urt. v. 25.3.2008 – 7 Sa 1115/07) hatte nun die für die Praxis durchaus bedeutsame und häufig auftretende Frage zu entscheiden, ob bei einer Überschneidung von zwei Elternzeiten Arbeitnehmer berechtigt sind, die Elternzeit für das erste Kind vorzeitig zu beenden, um den verbleibenden Rest unmittelbar im Anschluss an die Elternzeit für das zweite Kind zu nehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat am 21. April 2009 die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München bestätigt (BAG, Urt. v. 21.4.2009 – 9 AZR 391/08).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Die Arbeitnehmerin ist bei dem beklagten Arbeitgeber als Reiseverkehrskauffrau seit dem 1. Mai 1999 beschäftigt. Am 4. Juli 2004 wurde ihre Tochter geboren. Die Arbeitnehmerin hat Elternzeit für dieses Kind für den Zeitraum vom 3. September 2004 bis 3. Juli 2007 beansprucht.

Am 23. Juli 2006 ist das zweite Kind zur Welt gekommen. Sie hat mit Schreiben vom 3. August 2006 dem Arbeitgeber die Geburt ihres Sohnes mitgeteilt und erklärt, sie nehme die vollen drei Jahre Elternzeit für ihren Sohn in Anspruch und wolle die verbleibende Elternzeit für ihre Tochter vorab oder danach einbringen. Mit Schreiben vom 16. August 2006 hat sie dann erklärt, die verbleibende Elternzeit für ihre Tochter an die beantragte Elternzeit für ihren Sohn „dranhängen“ zu wollen.

Der Arbeitgeber hat der Elternzeit für den Sohn, wie von der Klägerin beantragt, für den Zeitraum vom 19. September 2006 bis 22. Juli 2009 zugestimmt. Die Übertragung der Restelternzeit für die Tochter auf den Zeitraum unmittelbar im Anschluss an die Elternzeit lehnte der Arbeitgeber jedoch ab.

Der Arbeitgeber hat vorgetragen, es bestehe keine Möglichkeit, eine vorzeitig beendete Elternzeit für ein erstes Kind an die Elternzeit für ein weiteres Kind anzuhängen. Auch würden die Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmerin aufgrund der langen Abwesenheitsdauer noch mehr abnehmen. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit würde daher immer schwerer. Auch dies spreche gegen eine Verlängerung der Elternzeit.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt allerdings bislang nur als Pressemitteilung vor. Die nachfolgende Besprechung orientiert sich daher an den Urteilsgründen des Landesarbeitsgerichts.

 

I. Vorzeitige Beendigung der Elternzeit

Die vorzeitige Beendigung der Elternzeit wegen der Geburt eines weiteren Kindes ist nach § 16 Abs. 3 BEEG (wortgleich wie die alte Vorschrift des BErzGG) ausdrücklich vorgesehen. Der Arbeitgeber kann der vorzeitigen Beendigung nur innerhalb von vier Wochen aus dringenden betrieblichen Gründen schriftlich entgegentreten. Dies war hier nicht geschehen.

 

II. Keine Verkürzung der Gesamtelternzeiten

Den gesetzlichen Vorschriften ist nicht zu entnehmen, dass die vorzeitige Beendigung einer Elternzeit wegen der Geburt eines weiteren Kindes dazu führt, dass die Elternzeit dann entsprechend gekürzt und nicht angehängt werden darf. Dies folgt nach zutreffender Auslegung aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 3 BEEG. Danach besteht der Anspruch auf Elternzeit bei mehreren Kindern für jedes Kind, auch wenn sich die Zeiträume überschneiden. Dieser Satz ist nur sinnvoll, wenn er den Willen des Gesetzgebers ausdrücken soll, dass den Eltern ein Elternzeitanspruch von bis zu drei Jahren für jedes Kind zusteht, der sich durch Überschneidungen nicht verkürzt.

 

III. Übertragung begrenzt auf 12 Monate

Bei der Verkürzung der Elternzeit kann allerdings nicht die vollständige Restlaufzeit bis zur Dauer von drei Jahren übertragen werden. Dies folgt aus § 15 Abs. 2 Satz 4 BEEG. Danach kann ein Anteil der Elternzeit von bis zu 12 Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres übertragen werden. Insoweit wird nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts den Interessen des Arbeitgebers entgegengekommen. Wird also bspw. schon nach einem Jahr Elternzeit das weitere Kind geboren, können nicht die restlichen zwei Jahre angehängt werden, sondern nur der maximale Anteil von 12 Monaten.

 

IV. Verweigerungsrecht des Arbeitgebers nur bei besonders wichtigen Gründen!

Der Arbeitgeber muss der Übertragung der Elternzeit formal zustimmen. Bei seiner Entscheidung ist der Arbeitgeber aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht frei. Er darf vielmehr seine Entscheidung nur unter Anwendung billigen Ermessens ausüben. Bei einer unbilligen Verweigerung der Zustimmung durch den Arbeitgeber kann der Arbeitnehmer die Zustimmung des Arbeitgebers beim Arbeitsgericht einklagen.

Die von dem Arbeitgeber im vorliegenden Fall vorgetragenen Gründe waren ermessensfehlerhaft. Die Einarbeitung der Arbeitnehmerin nach sechs Jahren Elternzeit wird gegen eine Einarbeitung nach ca. fünf Jahren Elternzeit keine zusätzlichen Aufwendungen erforderlich werden lassen. Auch tritt hierdurch keine unangemessene Planungsunsicherheit ein. Es handelte sich um vorgeschobene Argumente, die keinen besonders wichtigen Grund darstellten.

 

Fazit:

Überschneiden sich Elternzeit, haben Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf vorzeitige Beendigung der ersten Elternzeit. Der verbleibende Rest von bis zu 12 Monaten kann unmittelbar im Anschluss an die Elternzeit für das weitere Kind genommen werden. Der Arbeitgeber muss seine Zustimmung zu dieser Übertragung grundsätzlich erteilen und darf sie nur bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe verweigern.

 

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