26.06.2011 -

Bei Einstellungen muss der Betriebsrat nach § 99 BetrVG beteiligt werden und seine Zustimmung erteilen. Dies gilt auch bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einer Grundsatzentscheidung klargestellt, dass bei Verstößen des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX der Betriebsrat berechtigt ist, die Zustimmung zur Einstellung zu verweigern (BAG, Beschluss v. 23.06.2010 – 7 ABR 3/09). Wir möchten die wichtige Entscheidung für die Praxis vorstellen.

Der Fall:

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers.

Der Arbeitgeber betreibt einen Zeitungsverlag sowie eine Druckerei. Im April 2007 schrieb er zunächst allein in dem internen Stellenmarkt die Stelle des Leiters der mechanischen Werkstatt aus. Nachdem sich aus der Belegschaft niemand um die Stelle beworben hatte, schaltete der Arbeitgeber eine Überlassungsfirma zwecks Überlassung eines Leiharbeitnehmers ein. Dem Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung über die beabsichtigte unbefristete Einstellung eines Leiharbeitnehmers ab 1. August 2007 als Leiter der mechanischen Werkstatt zu dem bei der Verleihfirma geltenden tariflichen Bestimmungen widersprach der Betriebsrat fristgerecht. Er machte u.a. geltend, nicht ordnungsgemäß von der beabsichtigten Einstellung unterrichtet worden zu sein. Außerdem verstoße die Einstellung des Leiharbeitnehmers gegen § 81 Abs. 1 SGB IX, da der Arbeitgeber nicht geprüft habe, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden könne.

Der Arbeitgeber hat die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung des Leiharbeitnehmers beim Arbeitsgericht beantragt und zusätzlich die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der personellen Maßnahme begehrt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag entsprochen.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Antrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung abgewiesen.

I. Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats

Der Betriebsrat kann nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme verweigern, wenn diese gegen ein Gesetz verstoßen würde. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dies nur, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz, einen Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt. Dazu muss es sich nicht um ein Verbotsgesetz im technischen Sinne handeln, das unmittelbar die Unwirksamkeit der Maßnahme herbeiführt. Es muss nur hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Zweck der betreffenden Norm darin besteht, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern.

II. Pflichten aus § 81 Abs. 1 SGB IV

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX begründet bei Einstellungen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit solchen, die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind, besetzt werden können. Zweck der Prüfungspflicht ist es, die Einstellung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu fördern.

Die Prüfungspflicht wird konkretisiert durch die in § 81 Abs. 1 S. 2 SGB IX normierte Verpflichtung des Arbeitgebers, frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Dadurch wird der Agentur für Arbeit oder einem Integrationsfachdienst die Möglichkeit eröffnet, dem Arbeitgeber geeignete schwerbehinderte Menschen vorzuschlagen. Ein Arbeitgeber verstößt gegen seine Pflichten, wenn er auf einen freien Arbeitsplatz einen nicht schwerbehinderten Menschen einstellt, ohne geprüft zu haben, ob der Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden könnte.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass der nach § 81 Abs. 1 SGB IX verfolgte Zweck nur dadurch erreicht werden kann, dass die endgültige Einstellung des nicht schwerbehinderten Menschen jedenfalls zunächst unterbleibt. Durch die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Menschen verwirklichen sich für die Gruppe der schwerbehinderten Menschen in typischer Weise die mit ihrer Schwerbehinderung verbundenen erhöhten Schwierigkeitenbei der Arbeitsplatzsuche, die durch die in § 81 Abs. 1 SGB IX geregelten Pflichten gemindert werden sollen. Die Einstellung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers stellt sich damit als potentielle Benachteiligung der Gruppe arbeitsloser schwerbehinderter Menschen dar und kann damit sogar das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 1 AGG verletzen. Die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit ist also geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu begründen. Dem Arbeitsmarkt wird durch die Einstellung des nicht schwerbehinderten Menschen ein zur Verfügung stehender Arbeitsplatz zu Lasten der Gruppe der schwerbehinderten Menschen „entzogen“, deren Beschäftigungsinteressen § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX dienen.

III. Prüfungspflicht auch bei Leiharbeitnehmern!

Diese Grundsätze gelten auch für Leiharbeitnehmer!

Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass die Prüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX auch bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers besteht. Die Vorschrift enthält keine Einschränkung. Voraussetzung für die Prüfpflicht des Arbeitgebers ist allein die beabsichtigte Besetzung eines freien Arbeitsplatzes. Darum handelt es sich auch, wenn ein freiwerdender oder neu geschaffener Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer besetzt werden soll. Die Befolgung der Prüfpflichten durch den Arbeitgeber soll es noch nicht im Betrieb beschäftigten Menschen ermöglichen, sich um freie Arbeitsplätze zu bewerben und dadurch ihre Einstellungschancen zu verbessern. Das ist auch dann nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, einen freien Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen.

Der Leiharbeitnehmer wird zwar im Regelfall von dem Verleiher dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, ohne dass dieser selbst eine Auswahlentscheidung trifft oder an einer solchen beteiligt wird. Es ist jedoch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts möglich, dass der Arbeitgeber nach einer § 81 Abs. 1 SGB IX entsprechenden Prüfung von der zunächst beabsichtigten Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer Abstand nimmt und stattdessen einen geeigneten schwerbehinderten Bewerber selbst einstellt.

Hinweis für die Praxis:

Dem hieraus folgenden Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers steht nicht entgegen, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 SGB IX bei Versetzungen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nicht begründet (vgl. BAG, Urteil v. 17.06.2008 – 1 ABR 20/07). In diesem Fall konkurrieren die schwerbehinderten Menschen nicht mit anderen, externen Bewerbern. Außerdem wird durch die Versetzung eines bereits beschäftigten, nicht schwerbehinderten Menschen dem Arbeitsmarkt kein zur Verfügung stehender Arbeitsplatz „entzogen“.

Fazit:

Arbeitgeber können sich also mit der Beauftragung einer Verleihfirma zur Besetzung freier Stellen nicht ihren Prüf- und Konsultationspflichten nach § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX entziehen. Der Betriebsrat ist in diesen Fällen berechtigt, die Zustimmung zur Einstellung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu verweigern. Arbeitgeber müssen daher diese Vorgaben in der Zukunft streng beachten!

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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