28.07.2011

I.       Worum es geht

Bisher waren die Kosten eines Zivilprozesses nach ständiger Rechtsprechung des BFH in der Regel nicht als außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG) vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehbar. Ausgenommen hiervon waren in der Praxis dennoch regelmäßig Prozesskosten, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte, zumeist also im Zusammenhang mit familienrechtlichen Auseinandersetzungen. In allen anderen Fällen war der Abzug faktisch so gut wie ausgeschlossen.

Prozesskosten als „außergewöhnliche Belastungen“

§ 33 Abs. 1 EStG gestattet dem Steuerpflichtigen den Abzug außergewöhnlicher Belastungen. Solche liegen vor, wenn dem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Ein Abzug ist nur gestattet, soweit die Aufwendungen über die in § 33 Abs. 3 EStG bestimmten zumutbaren Belastungen hinausgehen.

Die Regelung zielt darauf ab, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen, und stellt damit eine Ergänzung zu den Freibeträgen dar.

Aufwendungen sind gem. § 33 EStG jedoch nur abziehbar, wenn sie „zwangsläufig“ erwachsen. Aufwendungen erwachsen gem. § 33 Abs. 2 EStG dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach bisheriger ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichte eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Derjenige, welcher einen Zivilprozess führe, habe in der Regel die Gründe für die rechtliche Pflicht zur Zahlung der Prozesskosten selbst begründet. Es unterliege der freien Willensentscheidung des Steuerpflichtigen, ob er das Risiko eines Prozesses eingehe oder nicht. Die Kosten des Zivilprozesses habe er nämlich meist nur zu tragen, wenn der Prozess verloren ginge. In diesen Fällen habe allerdings der Steuerpflichtige bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, dass der Prozess keinen Erfolg haben werde. Selbst bei hinreichenden Erfolgsaussichten stehe die Entscheidung über die Klageerhebung in seinem Belieben. Es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko realisiert habe

Daran hält der BFH nicht mehr fest und gibt seine restriktive Rechtsprechung auf.

II.      Die Entscheidung

Die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko ‚freiwillig’, verkenne, so der BFH, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols, regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen und abzuwehren seien. Das folge aus dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG). Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtige-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Vielmehr werden die Parteien zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Zivilprozesskosten erwachsen Kläger wie Beklagten deshalb unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig.

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung stellt der BFH für die Frage der Zwangsläufigkeit der Prozesskosten ausdrücklich nicht mehr auf die Unausweichlichkeit der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder die Unausweichlichkeit des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses ab.

Den bisherigen Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, verwirft der BFH mit einer praxiskundigen Begründung. Der Einwand

wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Vorherzusagen wie ein Gericht entscheiden wird, ist ‚riskant’.Denn nur selten findet sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung mit arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen kann. Nicht zuletzt deshalb bietet die Rechtsordnung ihren Bürgern ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Rechtssystem an.

Allerdings möchte der BFH den Abzug von Kosten eines Zivilprozesses nicht unbeschränkt und uferlos ermöglichen. Die Kosten sind nur zu berücksichtigen,

„wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Er muss diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein. Demgemäß sind Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.“

Und noch eine weitere Einschränkung hebt der Senat hervor, in dem er zwei weitere unbestimmte Rechtsbegriffe anführt: Außergewöhnliche Belastungen sind gem. § 33 Abs. 2 EStG nur soweit abzugsfähig, als sie notwendig sind und einen angemessen Betrag nicht überschreiten. Das aber ist immer eine Frage des Einzelfalls und wird die Finanzgerichte zukünftig wohl häufiger beschäftigen.

III. Fazit und Ausblick

Der Bundesfinanzhof hat mit dieser Entscheidung die Möglichkeiten eines steuerlichen Abzugs von Prozesskosten erheblich erweitert.

Allerdings hinterlässt die Entscheidung absehbare praktische Probleme:

Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger sich „nicht mutwillig oder leichtfertig“ auf den Prozess eingelassen hat, ist nicht einfach zu beantworten, vor allem nicht für den Veranlagungsbeamten des Finanzamts. Dem BFH scheint aber gerade das vorzuschweben, wenn er ausführt:

Sodann hat das Gericht die Gesamtumstände des Einzelfalls – ex ante – dahingehend zu würdigen, ob der Prozess, den der Kläger angestrengt hat, hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig geführt worden ist. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg.“

Diese Feststellung der hinreichenden Erfolgsaussicht setzt vertiefte Kenntnisse des Sachverhalts, des betroffenen Rechtsgebiets und des einschlägigen Prozessrechts voraus und wird in der täglichen Veranlagungspraxis Anlass für Auseinandersetzungen geben.

Weil eine verlässliche Prognose eines Prozessausgangs vorab nur sehr schwer möglich ist, wird wohl nur in recht krassen Fällen die steuerliche Berücksichtigung von Zivilprozesskosten versagt werden dürfen. Jedenfalls wird der im Prozess unterlegene Steuerpflichtige in der Diskussion mit dem Finanzamt, das nachträglich, aber dennoch ex ante (!) über die Erfolgsaussichten zu entscheiden hat, voraussichtlich Mühen haben, den Veranlagungsbeamten davon zu überzeugen, dass die Erfolgsaussichten vorher überwogen.

Eine verlässliche Handlungsempfehlung für die Praxis stellt das Urteil des BFH leider nicht dar. Jedoch ist es dem Steuerpflichtigen natürlich unbenommen und anzuraten, im Rahmen der Steuererklärung die Prozesskosten zunächst einmal abzuziehen. Er kann dadurch nur gewinnen. Entweder erkennt das Finanzamt den Abzug an oder es erkennt nicht an, was nach der neuen Rechtsprechung den Weg zu den Finanzgerichten mit deutlich besseren Aussichten öffnet als bisher.

Autor

Bild von  Andreas Jahn
Partner
Andreas Jahn
  • Rechtsanwalt und Steuerberater
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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