Alle Jahre wieder grüßt das Murmeltier, könnte man meinen: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 27. September 2012 – II R 9/11 – dem Bundesverfassungsgericht wieder einmal die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) verfassungswidrig ist.

Der BFH stellt dabei dem Gesetzgeber ein ausgesprochen schlechtes Zeugnis aus und bezeichnet die Wirkung der von ihm gerügten Verfassungsverstöße als eine „durchgehende, das gesamte Gesetz erfassende verfassungswidrige Fehlbesteuerung“.

Anlass der Entscheidung

Dem Verfahren liegt die Besteuerung eines Erbfalls im Jahre 2009 zugrunde. Der Kläger war zu 1/4 Miterbe seines Onkels. Im Nachlass befanden sich Guthaben bei Kreditinstituten und ein Steuererstattungsanspruch. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils am Nachlass belief sich auf 51.266 EUR. Unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 20.000 EUR und eines Steuersatzes von damals geltenden 30 % setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360 EUR fest.

Die Entscheidung des BFH

Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III im Jahr 2009 nicht verfassungswidrig

Der BFH teilt nicht die Ansicht des Klägers, die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (u.a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) sei verfassungswidrig. Nach Auffassung des BFH ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Art. 6 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern, nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister oder Abkömmlinge von Geschwistern.

Aber: Erhebliche Steuervergünstigungen u.a. für Betriebsvermögen gehen über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinaus

Der BFH ist jedoch der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG in der auf den 1. Januar 2009 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen.

Im Einzelnen stützt der BFH seine Vorlage auf folgende Gesichtspunkte:

1. Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde (siehe Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMF 01/2012; Rz. 89 ff.); es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder – ggf. im Rahmen einer Stundung der Steuer – ohne weiteres beschafft werden könnten.

Der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzerhalt“ erweise sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten und schon deshalb nicht unter die „Arbeitsplatzklausel“ fielen und ferner das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme.

2. §§ 13a und 13b ErbStG wiesen ferner einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf. Sie ermöglichten es Steuerpflichtigen, durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Es unterliege weitgehend der Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers, Vermögensgegenstände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten würden, zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen. Die Bestimmungen hinsichtlich des sog. Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2 ErbStG) seien nicht geeignet, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem Betriebsvermögen abzugrenzen, und widersprächen auch dem Folgerichtigkeitsgebot. So könne bei entsprechender Gestaltung der unschädliche Anteil des nicht begünstigungswürdigen Verwaltungsvermögens sowohl bei der Regelverschonung (85 % Befreiung) als auch bei der Optionsverschonung (100 % Befreiung) deutlich über 90 % des gesamten Betriebsvermögens betragen. Ferner gehörten Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten nicht zum Verwaltungsvermögen, sodass ein Anteil an einer GmbH oder GmbH und Co. KG, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestehe (z.B. sog. „Cash-GmbH), durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen erworben werden könne, ohne dass Erbschaftsteuer anfalle.

3. Die zusätzlich zu den Freibeträgen des § 16 ErbStG anwendbaren Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen führten dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei.

„Durchgehende, das gesamte Gesetz erfassende verfassungswidrige Fehlbesteuerung“

Die Verfassungsverstöße führten – so der BFH – teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung kommt nicht unerwartet (siehe beispielsweise unseren Artikel vom 17.11.2011).

Auslöser für die vom BFH nun für verfassungswidrig erachtete Erbschaftsteuerreform war eine Vorlage des BFH aus dem Jahr 2002 (Az. II R 61/99) an das Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob das Erbschaftsteuergesetz in der damals geltenden Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Das Bundesverfassungsgericht schloss sich dieser Auffassung damals an, was zur Reform des ErbStG führte.

Die verfassungsrechtliche Problematik hat sich nach Auffassung des BFH durch die Erbschaftsteuerreform nicht verbessert, sondern sogar verschärft. Es spricht daher viel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht das ErbStG abermals für verfassungswidrig erklärt. Was dann kommt, ist schwer vorherzusagen. Eines ist sicher:

„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“
(Georg Christoph Lichtenberg)

Sollte auch Karlsruhe der Meinung sein, dass derart weitgehende Begünstigungen für bestimmte Vermögensarten, wie sie das Gesetz zur Zeit vorsieht, über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgehen, wird ein neues Steuermodell womöglich Empfehlungen aufgreifen, wie sie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium in seinem Gutachten „Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer“ vorschlägt (siehe dazu unseren Artikel vom 06.03.2012).

Wer die derzeit bestehenden Vergünstigungen oder das Modell einer sogen. „Cash-GmbH“ noch nutzen will, sollte sich jedenfalls beeilen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, einen komplexen Vorgang wie eine Unternehmensnachfolge zu planen.

 

 

Autor

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