15.12.2013 -

Kommt es nach Ausspruch einer Kündigung zu einem längeren Kündigungsschutzverfahren, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei Obsiegen des Arbeitnehmers den zwischenzeitlich aufgelaufenen Urlaub nachzugewähren oder ob dieser Urlaub nach Ablauf der jeweiligen Verfallfristen endgültig untergegangen ist. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun einen solchen Fall zu entscheiden und sich dort mit der Frage zu befassen, ob einem Arbeitnehmer Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus drei Jahren in Höhe von insgesamt 90 Tagen zu gewähren ist (BAG, Urteil v. 14.05.2013 – 9 AZR 760/11). Die Entscheidung hat weitreichende finanzielle Auswirkungen und ist daher für die Praxis von besonderer Bedeutung.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer begehrt von dem beklagten Arbeitgeber, ihm jeweils 30 Arbeitstage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus den Jahren 2006, 2007 und 2008 zu gewähren, insgesamt also 90 Arbeitstage.

Die Arbeitsvertragsparteien führten mehrere Rechtsstreite wegen verschiedener Kündigungen in den Jahren 2006, 2007 und 2008. Jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 führten diese Kündigungen nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis wurde vielmehr fortgesetzt. Der Arbeitgeber gewährte dem Arbeitnehmer in der Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2008 unstreitig keinen Urlaub.

Der Arbeitnehmer hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub für den vollen Zeitraum zu leisten, weil er sich seit Zustellung der ersten Klageschrift vom 6. Februar 2006 in Verzug befunden habe. In dieser Klageschrift hat er auf S. 4 u.a. den „Anspruch auf Lohn, Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung und zusätzliches Urlaubsgeld bereits jetzt geltend gemacht“. Eine Aufforderung an den Arbeitgeber, den Urlaub konkret zeitlich festzulegen, wurde jedoch nicht eingefordert.

Wegen des laufenden Rechtsstreits über diesen Ersatzurlaub stellte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit folgendem Hinweis frei:

Diese Freistellung erfolgt unter Anrechnung auf etwa noch bestehende und noch entstehende Urlaubsansprüche. Sollten Ihnen, wie von Ihnen behauptet, tatsächlich noch Urlaubsansprüche für die Jahre 2006, 2007 und 2008 zustehen, werden auch diese etwaigen Urlaubsansprüche angerechnet. Außerhalb der für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs gewährten Freistellung findet § 615 S. 2 BGB Anwendung“.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Arbeitnehmer 90 Tage Ersatzurlaub zugesprochen!

I. Ersatzurlaub als Naturalrestitution

Im Grundsatz verfällt Urlaub zum Ende des Kalenderjahres bzw. spätestens nach Ablauf der üblichen Übertragungsfristen. Hat allerdings der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, verfällt der Urlaub nicht. Vielmehr gerät der Arbeitgeber dann in Verzug. Der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch wandelt sich dann in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als so genannte Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch um. Mit anderen Worten: Verlangt der Arbeitnehmer Urlaub und gewährt der Arbeitgeber den Urlaub nicht, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Ersatzurlaub auch nach Ablauf der Übertragungsfristen.

II. Anforderungen an die Urlaubsaufforderung des Arbeitnehmers

Ersatzurlaub muss nur gewährt werden, wenn sich der Arbeitgeber mit der Urlaubsgewährung in Verzug befindet. Grundsätzlich bedarf es dazu einer Mahnung. Eine Mahnung ist nur dann entbehrlich, wenn sich der Schuldner (= Arbeitgeber) beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen. In diesem Fall ist eine Mahnung überflüssig.

Wann liegt eine solche beharrliche Weigerung nun vor? Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass in dem Ausspruch einer Kündigung an sich noch keine solche beharrliche Verweigerung liegt. Wird also das Arbeitsverhältnis gekündigt und erklären sich beide Vertragsparteien nicht zum Urlaub, verfällt der Urlaub jeweils zum Ende eines Kalenderjahres.

Anders verhält es sich jedoch, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses streiten und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erfolglos aufgefordert hat, ihm während des Kündigungsrechtsstreits Urlaub zu gewähren. Stellt der Arbeitgeber nach einer von ihm erklärten Kündigung den Bestand des Arbeitsverhältnisses in Abrede und erteilt er trotz einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitnehmers den verlangten Urlaub nicht, bedarf es keiner weiteren Mahnung des Arbeitnehmers mehr. Der Arbeitnehmer kann dann vielmehr aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen, er werde ihm keinen Urlaub gewähren. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wäre eine weitere Mahnung in einem solchen Falle eine bloße Förmelei.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles lag darin, dass der Arbeitnehmer lediglich in der Klageschrift gegen die Kündigung pauschal Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung geltend gemacht hat. Der Arbeitnehmer verlangte hingegen keine zeitliche Festlegung des Urlaubs. Aus diesem Grunde haben die Vorinstanzen auch einen Anspruch auf Ersatzurlaub abgelehnt. Das Bundesarbeitsgericht ließ nun aber diese pauschale Aufforderung bereits ausreichen. Der Arbeitgeber hätte auf diese Aufforderung hin reagieren müssen. Dies hatte er aber nicht getan.

Hinweis für die Praxis:

Arbeitgeber sind nach Ausspruch einer Kündigung mit einem anschließenden Kündigungsschutzverfahren nicht gehindert, Urlaub zu erteilen. Fordert also der Arbeitnehmer im laufenden Kündigungsschutzverfahren den Arbeitgeber zu Urlaubserteilung auf, sollte der Arbeitnehmer den Urlaub auch tatsächlich gewähren, um spätere Ansprüche auf Ersatzurlaub zu vermeiden.

III. Verbrauch durch Freistellung?

Der Arbeitgeber hatte im Verlauf des Rechtsstreits den Mitarbeiter nochmals wegen der behaupteten Urlaubsansprüche für die Jahre 2006 bis 2008 freigestellt. Damit hätte er im Grundsatz die nachzugewährenden Urlaubsansprüche verbrauchen und anrechnen können. Allerdings hatte der Arbeitgeber in dieser Konstellation in dem oben im Sachverhalt dargestellten Schreiben den Fehler gemacht, ausdrücklich auf § 615 S. 2 BGB hinzuweisen. Nach dieser Vorschrift muss sich ein Mitarbeiter während einer Freistellung anderweitige Verdienste auf sein Gehalt anrechnen lassen (Ausschluss von Doppelverdienst). Will der Arbeitgeber aber eine solche Anrechnung erreichen, reicht die pauschale Freistellung unter Anrechnung auf Urlaub nicht aus. Vielmehr muss in einer solchen Konstellation zusätzlich der Urlaubszeitraum konkret festgelegt werden.

Fazit:

Die Entscheidung macht deutlich, dass Arbeitgeber bei Urlaubsstreitigkeiten zahlreiche Fallstricke zu meistern haben. Dies betrifft nicht nur die bekannteren Fälle der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit, die wir schon mehrfach an dieser Stelle besprochen haben, sondern auch Urlaubsansprüche, die sich bei langwierigen Kündigungsschutzprozessen aufaddieren können. Nur eine sorgfältige Prüfung des Sachverhalts und eine bewusste und rechtlich abgesicherte Freistellungserklärung kann dann rechtliche Nachteile vermeiden.

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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