Der Betriebsrat hat bekanntlich bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen ein starkes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Wie verhält es sich aber mit dieser Mitbestimmung bei der Nutzung von Internetprogrammen? Das Bundearbeitsgericht hatte sich nun mit einer solchen Fragestellung zu befassen (BAG, Beschluss v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12). Es ging um die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Verwendung des Internetdienstes „Google-Maps“. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Mitbestimmung des Betriebsrats mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt.
Der Fall:
Bei der beteiligten Arbeitgeberin handelt es sich um ein Logistikunternehmen, das Paket- und Kurierdienstleistungen anbietet. Im Konzern gilt die Konzernbetriebsvereinbarung „Informationstechnologie“.
Im Juni 2009 legte ein Arbeitnehmer der Arbeitgeberin eine Reisekostenabrechnung vor. Als zurückgelegte Strecke für die Hin- und Rückfahrt gab er 60 km an. Da diese Entfernungsangabe dem Niederlassungsleiter überhöht erschien, überprüfte er die angegebene Entfernung mit dem Internetdienst und Routenplaner „Google-Maps“. Es wurde eine erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen – mithilfe von „Google-Maps“ errechneten – und der auf der Reisekostenabrechnung angegebenen Entfernung festgestellt. Der Arbeitnehmer wurde hierauf abgemahnt.
Dieser Vorgang veranlasste den Betriebsrat dazu, den Niederlassungsleiter aufzufordern, die Anwendung von „Google-Maps“ im Betrieb zu unterlassen. Zugleich forderte der örtliche Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zum Thema „Google-Maps“ aufzunehmen. Die Arbeitgeberin lehnte dieses Begehren ab. Der Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Ziel ein, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, im Betrieb das Programm „Google-Maps“ anzuwenden, solange eine Einigung mit dem Betriebsrat hierüber nicht erzielt oder durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
Arbeitsgericht und Landearbeitsgericht haben den Antrag zurückgewiesen und eine Mitbestimmung abgelehnt.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren den Vorinstanzen angeschlossen und die Anträge ebenfalls zurückgewiesen.
I. Zweck der Mitbestimmungsnorm des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG soll Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung technischer Kontrolleinrichtungen verhindern und nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zulassen. Zweck ist also der Persönlichkeitsschutz der Arbeitnehmer. Dabei sind technische Einrichtungen bereits dann zur Überwachung „bestimmt“, wenn sie objektiv geeignet sind. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es insoweit nicht an.
Hinweis für die Praxis:
Es handelt sich bei der Mitbestimmungsnorm des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG um ein sehr weites und starkes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Wegen der allein maßgeblichen objektiven Eignung zur Verhaltens- und/oder Leistungsüberwachung greift das Mitbestimmungsrecht daher auch dann ein, wenn eine Überwachung gar nicht beabsichtigt oder gewollt ist. Der Betriebsrat muss positiv seine Zustimmung erteilen. Andernfalls können die technischen Einrichtungen (z.B. E-Mailsystem, Videokamera, Internetnutzung, Chipkartensysteme etc.) nicht eingesetzt werden. Der Betriebsrat muss eine etwaige Ablehnung nicht begründen und kann sogar seine Rechte mit einer einstweiligen Verfügung kurzfristig durchsetzen. Wir können daher nur dringend empfehlen, in solchen Fällen bereits frühzeitig Verhandlungen mit dem Betriebsrat aufzunehmen, um so die rechtzeitige Einführung der beabsichtigten technischen Einrichtung nicht zu gefährden.
II. Mitbestimmung bei „Google-Maps“?
Das Bundesarbeitsgericht hat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. Nr. 6 BetrVG bei der Verwendung von „Google-Maps“ zutreffend abgelehnt. Bereits die Datenerhebung betrifft nicht das Sammeln von Verhaltens- oder Leistungsdaten der Arbeitnehmer. Zwar werden ggf. auch Wohn- und/oder Arbeitsort eingegeben. Jedoch sind diese Daten an sich nicht aussagekräftig, um mit ihnen auf ein Verhalten oder eine Leistung zu schließen. Auch die Verarbeitung dieser Daten in ihrer Verknüpfung sagt nichts über Verhalten oder Leistung aus. Vielmehr ergibt sich eine schlichte Entfernungsangabe zwischen den eingegebenen Orten. „Google-Maps“ ist damit ein technisches Hilfsmittel, um Fakten zu sammeln, die völlig unabhängig von einem Verhalten oder einer Leistung eines betroffenen Arbeitnehmers stehen. Erst durch den Abgleich dieser so gefundenen Ergebnisse, die noch nicht einmal zuverlässig sein müssen, ergibt sich durch menschliches Zutun der Überwachungserfolg.
Insoweit gleicht „Google-Maps“ einem Taschenrechner, mit dem etwa Angaben eines Arbeitnehmers zu aufgeschriebenen Stunden nachgerechnet werden. Ähnliches gilt für andere Internetanwendungen, bspw. Wikipedia, Übersetzungsprogramme, Zinsrechner, Währungsrechner etc. Es handelt sich stets um technische Hilfsmittel, die nicht zur Überwachung bestimmt sind und erst im Rahmen von Kontrollmaßnahmen zum Abgleich von Fakten durch menschliches Tun genutzt werden. Unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes und des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung bedarf es keines betriebsverfassungsrechtlichen Schutzes der Arbeitnehmer bei deren Verwendung.
III. Kein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich
Das Bundesarbeitsgericht hat schließlich noch vorsorglich den Normzweck überprüft. Sinn der Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen. Die auf technischem Weg erfolgte Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über den Arbeitnehmer bergen die Gefahr in sich, dass in dessen Persönlichkeitsbereiche eingedrungen wird, die einer nichttechnischen Überwachung nicht zugänglich sind, und dass der Arbeitnehmer zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht wird, der er sich nicht entziehen kann. Darüber hinaus sind die Abläufe der technikgestützten Datenermittlung für den Arbeitnehmer vielfach nicht wahrnehmbar und es fehlt regelmäßig an einer Möglichkeit, sich ihr zu entziehen.
Dieser Normzweck wird durch den Einsatz eines Routenplaners hier aber nicht berührt. Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer sind mit der Nutzung eines internetbasierten Routenplaners nicht verbunden.
Fazit:
Technische Hilfsprogramme, die über Internetdienste genutzt werden, fallen grundsätzlich nicht unter den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
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