23.03.2015

Der Versicherungsnehmer (VN) schloss bei dem Versicherer (VR) einen Lebensversicherungsvertrag mit Vertragsbeginn zum 1. Dezember 1998. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und die Verbraucherinformationen erhielt er erst mit dem Versicherungsschein. Er wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 belehrt. Der VN zahlte von Dezember 1998 bis Dezember 2002 Versicherungsprämien in Höhe von insgesamt 51.129,15 €. Nachdem er den Vertrag am 1. Juni 2007 gekündigt hatte, kehrte ihm der VR im September 2007 einen Rückkaufswert in Höhe von 52.705,94 € aus. Mit Schreiben vom 31. März 2008 erklärte der VN den Widerspruch gem. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. gegenüber dem VR und forderte diesen zur Rückzahlung aller Beiträge nebst Zinsen auf.

Der VR weigerte sich. Der VN und spätere Kläger erhob Klage auf Rückzahlung der Versicherungsbeiträge und Schadensersatz.

Die Entscheidung:

Übergibt der VR dem VN bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht, sondern übersendet diese erst gleichzeitig mit der Übersendung des Versicherungsscheins, so stand dem VN nach altem Recht gem. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. ein Widerspruchsrecht zu, das innerhalb von 14 Tagen – bei Lebensversicherungsverträgen innerhalb von 30 Tagen – gegenüber dem VR geltend zu machen war. Der Lauf der vorbezeichneten Fristen begann indes erst, sofern der VN u.a. bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich und in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer der Frist belehrt worden war. Allerdings regelte § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., dass das Recht zum Widerspruch spätestens ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie erlöschen sollte.

Diese Regelung hat der BGH nun für europarechtswidrig erklärt und wendet sie deshalb nicht mehr auf Lebensversicherungsverträge an, so dass für den VN ein unbefristetes, also „ewiges“ Widerspruchsrecht besteht.

Die Begründung:

Da die beklagte Versicherung dem klagenden Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben und eine den Anforderungen des § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) a.F. genügende Verbraucherinformation unterlassen hatte, hätte ein wirksamer Vertrag nur nach Maßgabe des § 5a VVG a.F. zu Stande kommen können. Diese Vorschrift regelte den Vertragsschluss nach dem sogenannten Policenmodell. Der Antrag des VN stellte das Angebot zum Abschluss des Vertrages dar. Dieses nahm der Versicherer dadurch an, dass er dem Versicherungsnehmer mit der Versicherungspolice die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und die für den Vertragsschluss maßgebliche Verbraucherinformation übersandte. Durch die Annahme kam der Vertrag aber noch nicht zu Stande; vielmehr galt er gem. § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. erst dann als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassen der Unterlagen widersprach. Bis zum Ablauf dieser Frist war von einem schwebend unwirksamen Vertrag auszugehen.

Hier wurde aber die 14-tägige Widerspruchsfrist gegenüber dem klagenden Versicherungsnehmer nicht in Lauf gesetzt, denn die beklagte Versicherung belehrte den Kläger auch nicht im Zuge der Annahme des Antrages und Übersendung des Versicherungsscheins in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht.

Gerade für diesen Fall bestimmt § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. aber, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Der BGH hat indes erkannt, dass eine richtlinienkonforme Auslegung der vorbezeichneten Regelung ergibt, dass das Widerspruchsrecht des klagenden VN auch nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fortbestand. Zuvor hatte der Gerichtshof der Europäischen Union auf Grundlage einer Vorabentscheidung erkannt, dass § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., also die absolute Befristung des Widerspruchsrechts auf ein Jahr ab Zahlung der Erstprämie, gegen Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung verstößt.

An dieses Auslegungsergebnis des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die nationalen Gerichte gebunden. Der BGH zieht hieraus die rechtliche Konsequenz, dass § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. auf Lebensversicherungsverträge nicht mehr anzuwenden ist.

Fazit:

Die Entscheidung des BGH ist bemerkenswert, da die obergerichtliche Rechtsprechung gut 20 Jahre lang fast einhellig der Auffassung war, § 5a VVG a.F. sei nicht europarechtswidrig.

Vor dem Hintergrund des mittelfristig stark sinkenden Kapitalwertes der Lebensversicherungen, auch bedingt durch die derzeitige Niedrigzinspolitik der EZB, stellen sich Versicherungsnehmer immer öfter die Frage, ob das durch die Lebensversicherung „gebundene“ Kapital nicht in andere Anlagemodelle „profitabler“ investiert werden kann, um für das Alter vorzusorgen. Die Praxis zeigt, dass es im Rahmen der vorvertraglichen Aufklärung des Versicherungsnehmers häufig zu Fehlern kommt. Hier bietet sich die Möglichkeit, aus schlecht kapitalisierten Versicherungsverträgen auf Grundlage der BGH-Rechtsprechung „herauszukommen“.

Allerdings wirft die Entscheidung des BGH viele, bislang ungeklärte Fragen auf.

So ist bislang höchstrichterlich ungeklärt, wann die dreijährige Verjährungsfrist für den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Rückerstattung der gezahlten Prämien zu laufen beginnt. Das OLG Köln, Urteil vom 5. September 2014 – 20 U 88/14, hat jüngst zugunsten des klagenden Versicherungsnehmers angenommen, der Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten Prämien sei erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden. Demgegenüber wird vertreten, der Anspruch auf Prämienrückerstattung entstehe bereits mit der Zahlung der jeweiligen Prämie, unabhängig von der Ausübung des Widerspruchsrechts, da der Vertrag mangels ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerspruchsrecht schwebend unwirksam sei. Dem ist das OLG Köln in der vorbezeichneten Entscheidung mit dem Argument entgegengetreten, maßgebend für den Lauf der Verjährungsfrist sei erst die Entscheidung des Versicherungsnehmers, den Widerspruch zu erklären, da der Vertrag erst mit Erklärung des Widerspruchs endgültig unwirksam geworden sei.

Auch ist bislang ungeklärt, wie die Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, dem wirksam widersprochen worden ist, im Einzelnen erfolgt. Hier geht es etwa um die Fragen, wie die Nutzungen des Versicherers berechnet und angerechnet werden, oder ob der Versicherer den Entreicherungseinwand erheben kann.

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