Vertragsärztinnen und Vertragsärzte müssen persönlich und in „freier Praxis“ tätig sein. Dieses auf den ersten Blick wenig aussagestarke Merkmal fordert § 32 Absatz 1 der Zulassungsverordnung. Spätestens seit einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.06.2010 ist jedoch weitestgehend bekannt und anerkannt, welch immense Bedeutung diesem Kriterium zukommt. Zum Merkmal der freien Praxis führte das BSG seinerzeit unter anderem aus, dass hierfür mehr erforderlich sei, als rein zivilrechtlich betrachtet für die Stellung als Gesellschafter eigentlich nötig wäre. So müssen die vertragsärztliche Tätigkeit in beruflicher wie persönlicher Selbständigkeit gesichert und erhebliche Einflussnahmen Dritter ausgeschlossen sein.
Außerdem erfordere die eigenverantwortliche Gestaltung ärztlicher Tätigkeit ein wirtschaftliches Risiko, das der Arzt zu tragen habe. Aus diesem Grund müsse es auch maßgeblich von seiner Arbeitskraft abhängen, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt. Dies bedeute insbesondere, dass ein Vertragsarzt nicht wie ein Angestellter nur ein Festgehalt erhalten dürfe. Für das Merkmal der freien Praxis wirkt ein Festgehalt schlicht wie ein „KO-Kriterium“. Fragestellungen und Rechtsstreitigkeiten rund um diese Voraussetzungen beschäftigen die Rechtsprechung bis heute, wie eine aktuelle Entscheidung des BSG vom 30.10.2019 (Aktenzeichen B 6 KA 40/18 B) zeigt.
Vertragsärzte müssen in freiberuflicher Tätigkeit auch ein wirtschaftliches Risiko tragen und dürfen nicht wie Angestellte nur ein Festgehalt bekommen. (Copyright: megaflopp/adobe.stock)
Bundessozialgericht entscheidet: Honorarrückforderung in zweistelliger Millionenhöhe ist gerechtfertigt
Ein Arzt erhielt zum 01.03.1993 die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als Facharzt für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin mit Sitz in einer Gemeinschaftspraxis. An dieser Gemeinschaftspraxis waren ein weiterer Laborarzt sowie zwei Firmen in unterschiedlichen Konstellationen beteiligt. Im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen wegen Abrechnungsbetrugs entzog der Berufungsausschuss dem Arzt im Jahr 2004 die vertragsärztliche Zulassung mit der Begründung, dass dieser nie die Stellung eines Arztes in freier Praxis innegehabt habe.
In einem späteren Verfahren, das nun auch vom BSG abschließend entschieden wurde, wandte sich der Arzt gegen einen Bescheid seiner kassenärztlichen Vereinigung (KV), der von ihm die Rückzahlung sämtlicher für die Quartale 2/1993 bis 3/2003 ausgezahlter vertragsärztlicher Honorare forderte – mit rund 14,7 Millionen Euro eine stattliche Summe.
Die KV stützte ihre Rückforderung darauf, dass der Arzt nicht in „freier Praxis“ tätig gewesen sei und sich die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung erschlichen habe. Das vom Arzt angerufene Sozialgericht hob den Rückforderungsbescheid zunächst auf: Zwar sei der Arzt nicht in freier Praxis tätig gewesen, doch fehle es an einer grob fahrlässigen Erlangung der rechtswidrigen Zulassung. Die KV legte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein und war dort auch erfolgreich:
Die Honorarrückforderung hielt das LSG für rechtmäßig, weil der Arzt nach Auffassung der Richter nicht in „freier Praxis tätig gewesen sei. Er habe keinerlei Verlustrisiko getragen und eine arbeitnehmerähnliche Vergütung erhalten. Dies ergebe sich u.a. aus der vorangegangenen Entscheidung über die Zulassungsentziehung. Nach erneuter persönlicher Anhörung sei das Gericht zudem zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die rechtswidrige Zulassung grob fahrlässig erlangt und den rechtswidrigen Status auch grob fahrlässig gelebt habe. Es sei ihm bewusst gewesen, dass die Tätigkeit in freier Praxis mit einem wirtschaftlichen Risiko verbunden sei, doch habe er aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen für seine Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis ohne Verlustrisiko ein festes Jahreseinkommen erhalten. Das LSG hat nicht nur die Klage des Arztes abgewiesen, sondern auch keine Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Arztes hin hatte sich das BSG nun doch kurz mit dem Sachverhalt zu befassen.
Ergebnis: Auch vor dem BSG blieb der Arzt erfolglos. Aufgrund der verfahrensrechtlichen Besonderheiten der Nichtzulassungsbeschwerde konnte das BSG seine Entscheidung hier auf eine verkürzte Begründung stellen. Neben zahlreichen Einwänden gegen die Argumentation des Arztes betont das BSG in seiner Entscheidung erneut die Anforderungen des Tatbestandsmerkmales der „freien Praxis“ sowie den Umstand, dass das zuvor mit der Sache betraute LSG eben dieses Merkmal richtigerweise verneint habe.
Fazit
Das Kriterium der „freien Praxis“ bleibt für den rechtlichen Status als Vertragsarzt existenziell. Eine fehlerhafte Gestaltung von Zusammenarbeiten kann zum Verlust der Zulassung als Vertragsarzt und zu Regressen in immenser Höhe führen. Vertragsgestaltungen, die den Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügen, sollten daher zwingend unterbleiben oder korrigiert werden.
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