Der für betriebsverfassungsrechtliche Fragen zuständige Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat eine alte Rechtsprechung aus dem Jahre 1992 aufgegeben. Regelungsabreden wirken nunmehr auch in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht nach § 77 Abs. 6 BetrVG nach (BAG v. 13.08.2019, 1 ABR 10/18). In dieser wichtigen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht weiter klargestellt, dass ein Verstoß gegen eine Regelungsabrede keinen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründet.
Ein Verstoß gegen eine Regelungsabrede begründet keinen Zustimmungsverweigerungsgrund (Copyright: Alterfalter/adobe.stock)
Der Fall (verkürzt)
Der Arbeitgeber betreibt eine Druckerei mit etwa 360 Arbeitnehmern. Es besteht ein Betriebsrat. Mit der zuständigen Gewerkschaft Verdi verhandelte der Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag und die Anwendung eines Lohnrahmentarifvertrages.
Im Jahre 2009 schloss der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Regelungsabrede über Eingruppierungsfragen ab. Gegenstand der Regelungsabrede war eine von den Vorgaben des Lohnrahmentarifvertrages abweichende Handhabung der Vergütungsordnung.
Die Regelungsabrede kündigte der Arbeitgeber zum 30. November 2015. Dem Betriebsrat wurde gleichzeitig mitgeteilt, bei Neueinstellungen ab Dezember 2015 nur noch nach den Vorgaben der geltenden Lohn- und Gehaltsgruppentarifvertrages einzugruppieren.
Die Betriebspartner streiten nun über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer Eingruppierung sowie über die Nachwirkung der Regelungsabrede. So sollte nach Ablauf der Kündigungsfrist dieser Regelungsabrede eine bereits zuvor eingestellte Arbeitnehmerin nochmals befristet verlängert werden. Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens stimmte der Betriebsrat zwar der weiteren Einstellung zu, verweigerte jedoch die Zustimmung zur Eingruppierung mit der Begründung, die Arbeitnehmerin sei auch weiterhin aufgrund der Nachwirkung der Regelungsabrede in eine andere Vergütungsgruppe einzugruppieren.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Zustimmungsersetzungsanträgen des Arbeitgebers stattgegeben.
Die Entscheidung
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.
I. Regelungsabrede kein Zustimmungsverweigerungsgrund
Zunächst hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage befasst, ob der Verstoß gegen eine Regelungsabrede ein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründet. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage verneint. Ein etwaiger Verstoß des Arbeitgebers gegen die Regelungsabrede fällt nicht unter § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Die Regelwerke, die eine Verweigerung begründen könnten, sind in der Nr. 1 abschließend aufgeführt. Nach dem eindeutigen Wortlaut erfasst die Norm keine Verstöße gegen Regelungsabreden.
Hinweis für die Praxis:
Das Bundesarbeitsgericht hat auch eine analoge Anwendung der Nr. 1 auf Regelungsabreden abgelehnt. Regelungsabreden wirken nicht unmittelbar und zwingend und damit nicht normativ. Sie entfalten lediglich schuldrechtliche Vereinbarungen nur zwischen den Betriebsparteien. Dies reicht nicht für einen Zustimmungsverweigerungsgrund aus.
II. Keine Nachwirkung der Regelungsabrede
Die Vorschrift des § 77 Abs. 6 BetrVG sieht die Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten vor. Eine Anwendung dieser Bestimmung auf Regelungsabreden scheidet nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aber aus. Die gegenteilige Rechtsprechung aus dem Jahre 1992 (BAG v. 23.06.1992, 1 ABR 53/91) wird ausdrücklich aufgegeben.
Fazit
Das Bundesarbeitsgericht hat damit die Rechtswirkungen einer Regelungsabrede weiter präzisiert. Regelungsabreden sind keine Betriebsvereinbarungen. Jedwede analoge Anwendung kommt nicht (nicht mehr) in Betracht. Regelungsabreden entfalten damit keine normativen Wirkungen. Diese Wirkung bleibt allein Betriebsvereinbarungen vorbehalten. Damit greift auch nicht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Für die Kündigung wird hingegen weiterhin analog § 77 Abs. 5 BetrVG angewandt. Formlose Abreden der Betriebspartner sind also ordentlich mit einer Frist von drei Monaten kündbar. Freilich können die Betriebspartner andere Kündigungsfristen vereinbaren.
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