21.10.2020 -

Die Sitzungen des Gesamtbetriebsrates finden in vielen Unternehmen meist am Ort des Unternehmenssitzes statt. Zwingend ist dies aber nicht. Der Gesamtbetriebsrat kann sich gerade bei Unternehmen, die bundesweit Betriebe unterhalten, auch an anderen Unternehmensstandorten zusammenfinden. In der Praxis entsteht aber immer wieder Streit über die Frage, ob der Gesamtbetriebsrat befugt ist, Sitzungen auch an Standorten des Unternehmens abzuhalten, an denen kein lokaler Betriebsrat gewählt ist. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat in einem aktuellen Beschluss dieses Recht im konkreten Fall abgelehnt (LAG Schleswig-Holstein v. 24.02.2020, 1 TaBV 21/19). Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis von großer Bedeutung und soll daher hier besprochen werden.


Der Gesamtbetriebsrat ist nicht für betriebsratslose Betriebe als „Ersatzbetriebsrat“ zuständig (Copyright: Racle Fotodesign/adobe.stock).

Der Fall

Das beklagte Unternehmen betreibt im Bundesgebiet an 29 Standorten Filmtheater. An 13 Standorten sind Betriebsträte gewählt. Diese haben einen Gesamtbetriebsrat errichtet, der aus 21 Personen besteht.

Der Gesamtbetriebsrat tagt monatlich an verschiedenen Standorten. Die Arbeitgeberin ist an einen mit der Gewerkschaft Verdi abgeschlossenen Haustarifvertrag gebunden.

Nach entsprechender Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrates sollte eine Sitzung des Gesamtbetriebsrates in F… stattfinden. Die Arbeitgeberin hat die Kostenübernahme abgelehnt. Der Gesamtbetriebsrat hat daraufhin die Sitzung an diesem Ort verschoben und gleichzeitig ein Beschlussverfahren eingerichtet. Für den Betrieb in F… ist kein Betriebsrat gewählt.

Der Gesamtbetriebsrat ist der Auffassung, er sei hinsichtlich des Orts, an dem er seine Sitzungen abhalte, nicht auf die Betriebe beschränkt, für die ein Betriebsrat gewählt ist. Er hat daher die Arbeitgeberin auf Kostenübernahme vor dem Arbeitsgericht in Anspruch genommen. Die Gesamtkosten der Sitzung betragen nach Berechnung des Gesamtbetriebsrates 8.860,00 EUR. Die Arbeitgeberin hat erwidert, es sei sachgerecht und ausreichend, wenn die Sitzungen am Unternehmensstandort stattfänden. Dort stünde auch die Unternehmensleitung als Gesprächspartner zur Verfügung. Der Gesamtbetriebsrat sei nicht für betriebsratslose Betriebe als „Ersatzbetriebsrat“ zuständig.

Der Gesamtbetriebsrat ist hingegen der Meinung, er müsse seine Sitzung in F… durchführen, um dort seine Kontrollrechte wahrzunehmen, u.a. den Aushang des Newsletters, die Einhaltung von Gesetzen gem. § 80 BetrVG sowie die Einhaltung der Gesamtbetriebsvereinbarungen und des Tarifvertrags.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Es besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme.

I. Freie Wahl des Tagungsortes!

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen Sitzungen des Gesamtbetriebsrats nicht zwingend am Sitz der Hauptverwaltung stattfinden (vgl. BAG v. 24.07.1979, 6 ABR 96/77). Vielmehr kann der Gesamtbetriebsrat seine Sitzung jedenfalls an einem Ort durchführen, der unternehmensbezogen ist, also in Einzelbetrieben des Unternehmens, in denen Betriebsräte gebildet sind. Zwar werden im Allgemeinen die Sitzungen des Gesamtbetriebsrats aus Zweckmäßigkeitsgründen am Sitz der Hauptverwaltung abgehalten. Zwingend vorgeschrieben ist dies jedoch im Betriebsverfassungsgesetz nicht. Die Durchführung von Sitzungen auch in anderen Betrieben des Unternehmens ist insbesondere dann angebracht, wenn besondere Probleme gerade dieses Betriebes zur Beratung anstehen oder wenn in Abständen der Kontakt zu einzelnen Betriebsräten gepflegt werden soll.

II. Betriebsratslose Betriebe?

Das LAG Schleswig-Holstein hat nunmehr klargestellt, dass die Frage, ob eine Gesamtbetriebsratssitzung in einem betriebsratslosen Betrieb erforderlich i.S.d. § 40 Abs. 1 BetrVG ist, nicht allgemein entschieden werden kann. Es gibt kein generelles Verbot, auch einmal in einem betriebsratslosen Betrieb eine Gesamtbetriebsratssitzung abzuhalten oder in einem Hotel an einem Standort ohne Betriebsrat zu tagen. Entscheidend ist insofern, ob es einen betriebsbezogenen, als standortbezogenen Anlass hierfür gibt, den die Sitzung des Gesamtbetriebsrats rechtfertigt. Die Durchführung der Sitzung am vorgesehenen Tagungsort muss zur Wahrnehmung von Gesamtbetriebsratsaufgaben erforderlich sein.

Vorrangig ist damit die Erforderlichkeit der Betriebsratsarbeit zu prüfen. Die Frage, ob die entstehenden Kosten verhältnismäßig sind, ist hingegen erst nachrangig zu beantworten. 

Hinweis für die Praxis:

Ist etwa ein betriebsratsloser Betrieb von einer betriebsübergreifenden interessenausgleichspflichtigen Maßnahme betroffen, kann der Gesamtbetriebsrat an diesem Standort eine Sitzung abhalten, um sich Kenntnisse über die konkreten Gegebenheiten vor Ort zu verschaffen. Für eine Sitzung an einem Ort, an dem ein Unternehmen keinen Betrieb unterhält, besteht hingegen regelmäßig kein Anlass für eine Betriebsratssitzung.

III. Kein konkreter Anlass gegeben

Das Landesarbeitsgericht hat dann unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze geprüft, ob im konkreten Fall standortbezogene Fragen gegeben waren, die eine notwendige Betriebsratssitzung in einem betriebsratslosen Betrieb in F… erforderlich gemacht haben. Das Landesarbeitsgericht hat dies verneint. Die Kontrolle der Gesamtbetriebsvereinbarungen rechtfertigen eine solche Sitzung nicht. Das Landesarbeitsgericht hat dies im Einzelnen für jede Gesamtbetriebsratsvereinbarung begründet. Weiter hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern allein der örtliche Betriebsrat Träger des Überwachungsrechts aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist. Auch ist die Abhaltung einer Gesamtbetriebsratssitzung nicht erforderlich, um zu kontrollieren, ob der Newsletter des Gesamtbetriebsrats in dem betriebsratslosen Betrieb ausgehängt wird. Dazu genügt im Zweifel ein Anruf im örtlichen Betrieb.

Fazit

Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist uneingeschränkt zuzustimmen. Der Gesamtbetriebsrat ist bei betriebsbezogenen, also standortbezogenen Anlässen berechtigt, Sitzungen auch an einem betriebsratslosen Standort durchzuführen. Diese muss dann aber der Gesamtbetriebsrat konkret begründen können. Ist dies nicht möglich, kann die Sitzung dort nicht abgehalten werden. Das Verfahren ist noch in der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht anhängig. Sollte das Bundesarbeitsgericht die Beschwerde annehmen und über den Fall entscheiden, werden wir an dieser Stelle zu gegebener Zeit berichten.

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