08.12.2021 -

Viele Unternehmen versuchen durch die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebes arbeitsrechtliche Vorteile zu erlangen, insbesondere die strengen Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu vermeiden. Innerhalb eines Betriebes gelten die Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nämlich nicht. Auch im Übrigen kann ein Gemeinschaftsbetrieb Vorteile haben, da innerhalb des Gemeinschaftsbetriebes die Arbeitnehmer versetzt werden können, nur ein Betriebsrat gewählt werden muss und auch die Nutzung gemeinsamer Betriebsmittel Vorteile haben kann. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte nun zu entscheiden, ob der Betriebsrat bei der Bildung eines Gemeinschaftsbetriebes zu beteiligen ist bzw. ob bei der Nichtbeteiligung der Betriebsrat im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Unterlassungsanspruch durchsetzen kann (LAG Berlin-Brandenburg v. 10.12.2020, 26 TaBVGa 1498/20).


Bildung eines „virtuellen“ Gemeinschaftsbetrieb (Copyright: krerksak/adobe.stock).

Der Fall (verkürzt)

Der Arbeitgeber betreibt in Brandenburg an drei Standorten Kliniken. Im Jahre 2020 hat der Arbeitgeber ein Tochterunternehmen begründet.

Der Arbeitgeber informierte den Betriebsrat darüber, dass er beabsichtige, ab dem 1. November 2020 mit dem neu gegründeten Unternehmen an den drei Standorten jeweils einen Gemeinschaftsbetrieb zu errichten. Infolge dieser Mitteilung schloss dann der Arbeitgeber mit dem neu gegründeten Unternehmen eine Betriebsführungsvereinbarung. Darin heißt es zu § 3 wie folgt:

„(1.) Das gemeinsame Leitungsorgan ist für alle personellen Angelegenheiten im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes aller Arbeitnehmer in den beteiligten Unternehmen zuständig und Ansprechpartner des jeweiligen Betriebsrats.“

Der Betriebsrat hat daraufhin die Ansicht vertreten, die Bildung des Gemeinschaftsbetriebes stelle eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG dar. Zur Durchsetzung seines Verhandlungsanspruches beantragte daher der Betriebsrat eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf Unterlassung der Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes, bevor nicht die Verhandlungen über eine Betriebsänderung und über den Abschluss eines Interessenausgleichs abgeschlossen oder endgültig gescheitert sind. Weiter hat er beantragt, dem Arbeitgeber aufzugeben, Einstellungen i.S.d. § 99 BetrVG zu unterlassen, bevor nicht die vorgenannten Verhandlungen abgeschlossen sind.

Der Arbeitgeber hat hingegen beantragt, diese Anträge abzuweisen. Der Ablauf von Einstellungen sei in den §§ 99 ff. BetrVG abschließend geregelt. Bei der Bildung des Gemeinschaftsbetriebes bestehe im Übrigen keine Beteiligungspflicht und erst recht kein Unterlassungsanspruch.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Keine Untersagung einer Betriebsänderung

Zunächst hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass es einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates, der auf Untersagung einer Betriebsänderung gerichtet ist, nicht geben kann. Damit würde der Betriebsrat die Untersagung einer unternehmerischen Entscheidung verfolgen. Eine solche Untersagung sei aber nicht möglich.

II. Spezielles Verfahren nach §§ 99 ff. BetrVG

Der Betriebsrat hat weiter die Untersagung von Einstellungen gefordert. Auch dadurch wollte der Betriebsrat verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, weil durch die Einstellungen die von ihm angenommene Betriebsänderung durchgeführt wäre und sein Verhandlungsanspruch dann entfiele.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu klargestellt, dass der Betriebsrat auch insoweit nicht rechtlos steht und bleibt. Der Betriebsrat hat nach den speziellen Vorschriften der §§ 99 ff. BetrVG das Recht, seine Zustimmung zu einer Einstellung zu verweigern. Der Betriebsrat ist daher nicht auf einen Unterlassungsanspruch zur Sicherung seiner Rechte angewiesen. Die ihm zur Verfügung stehenden Beteiligungsrechte sind bereits ausreichend, um die durch die ihn verfolgten Interessen durchsetzen.

III. Virtueller Gemeinschaftsbetrieb?

Das Landesarbeitsgericht hat schließlich die Frage aufgeworfen, ob hier überhaupt ein Gemeinschaftsbetrieb schon vorliegt bzw. gegründet wurde. Das Landesarbeitsgericht hat dies verneint. So sollten sich alle bestehenden Strukturen im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsbetrieb und dem Hinzutreten der neu gegründeten Gesellschaft gar nicht ändern. Auch für die vorhandene Belegschaft sollte sich nichts ändern. Das Landesarbeitsgericht hat daher von einem „nur auf dem Papier existierenden virtuellen Gemeinschaftsbetrieb“ gesprochen.

In diesem Sinne hat das Landesarbeitsgericht weiter klargestellt, dass für die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes eine Führungsvereinbarung allein nicht ausreichend ist.

Hinweis für die Praxis:

Ein Gemeinschaftsbetrieb wird durch die Verknüpfung zweier Unternehmen auf allen Ebenen gebildet. Dazu bedarf es neben einer Führungsvereinbarung auch einer einheitlichen Leitungsmacht und der einheitlichen Steuerung des Personals. Daneben werden auch die Betriebsmittel gemeinsam genutzt, das Personal wird untereinander ausgetauscht und in der Regel sind auch die Führungspersonen identisch. All diese Konsequenzen wurden hier nicht umgesetzt.

Fazit

Die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebes ist nicht trivial. Es reicht nicht aus, schlicht zu behaupten, einen Gemeinschaftsbetrieb zu haben. Die vorhandenen Strukturen müssen insgesamt angepasst und geändert werden. Dem Landesarbeitsgericht ist daher zuzustimmen, dass ein rein „virtueller Gemeinschaftsbetrieb“ nicht zu einem „realen“ Gemeinschaftsbetrieb führt. Betriebsräte sind ausreichend geschützt, da sie bei Einstellungen innerhalb eines angeblichen Gemeinschaftsbetriebes die Zustimmung nach § 99 BetrVG verweigern können. Ein Zustimmungsverweigerungsrecht kann z.B. nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bestehen, wenn die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz verstößt. Der Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist ein Verstoß in diesem Sinne.

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