12.03.2025 -
Ist auch eine Führungskräfte nach § 7 BetrVG wahlberechtigt, die in unterschiedlichen Betrieben des Arbeitgebers im Rahmen einer Matrix-Struktur einsetzen werden? ...
Wenn eine Matrix-Führungskräfte in einem Betrieb nicht wahlberechtigt ist, kann dies zur Anfechtung der Wahl nach § 19 BetrVG führen (credits: adobestock).

Die betriebsverfassungsrechtliche Wahlberechtigung ist in § 7 BetrVG geregelt. Wahlberechtigt sind danach alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Wie verhält es sich aber bei Arbeitgebern, die mehrere Betriebe unterhalten und ihre Führungskräfte in unterschiedlichen Betrieben im Rahmen einer Matrix-Struktur einsetzen (als sogenannte Matrix-Führungskräfte)? Gilt dann der übliche Eingliederungsbegriff nach § 99 BetrVG oder muss die Frage der Wahlberechtigung anders beurteilt werden? Das LAG Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Beschluss diese Fragen für die Praxis beantwortet (LAG Baden-Württemberg v. 13.6.2024, 3 TaBV 1/24). Die Frage ist bislang vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden.

Der Fall:

Die Arbeitgeberin betreibt Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnologie. Insgesamt beschäftigt sie 2.628 zur Betriebsratswahl wahlberechtigte Arbeitnehmer in insgesamt fünf Betrieben. In jedem der Betriebe ist ein Betriebsrat gebildet.

Der Wahlvorstand des Betriebes Region S. schrieb die Wahl des Betriebsrates im Mai 2022 aus. In der Wählerliste, die der Wahlvorstand final der durchzuführenden Betriebsratswahl im Betrieb Region S. zugrunde legte, waren zum einen 498 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aufgeführt und zum anderen 128 Führungskräfte. Diese Führungskräfte führen auch Arbeitnehmer des Betriebes der Region S., sind aber ansonsten den vier anderen Betrieben der Arbeitgeberin angehörig, nämlich 33 dem Betrieb Zentrale, 23 dem Betrieb N., 19 dem Betrieb W. und 53 dem Betrieb M..

Diese Führungskräfte nehmen in den Betrieben unterschiedliche Aufgaben wahr und leiten Arbeitnehmer in verschiedenen Bereichen. Die Führungskräfte haben keine eigenständige Kompetenz zur Einstellung oder Entlassung der von ihnen geführten Arbeitnehmer. Sie sind auch nicht disziplinarisch vorgesetzt und etwa zur Erteilung von Abmahnung, Gewährung von Gehaltserhöhungen oder Anordnung neuer Aufgabenzuweisungen zuständig.

In den Arbeitsverträgen dieser Führungskräfte ist regelmäßig ein Standort vereinbart, dem die jeweilige Führungskraft zugeordnet ist. Die Führungskräfte sind teilweise im Homeoffice tätig, haben aber auch die Möglichkeit, im Büro zu arbeiten. Die Arbeitgeberin hält an sämtlichen Standorten entsprechende Büroräumlichkeiten vor.

Betriebsratswahl sei unwirksam

Nach Durchführung der Betriebsratswahl hat die Arbeitgeberin mit ihrem beim Arbeitsgericht fristgerecht eingereichten Antrag geltend gemacht, dass die Betriebsratswahl unwirksam sei. So sei die Betriebsratswahl unter Verstoß gegen § 7 Satz 1 BetrVG zustande gekommen. Es sei ein wesentlicher Verstoß gegen das Wahlrecht erfolgt. In die Wählerliste seien 128 Führungskräfte aufgenommen worden, die tatsächlich nicht dem Betrieb Region S. angehörten. Die hierfür erforderliche Eingliederung der Führungskräfte in dem Betrieb liege nicht vor, da ihnen das von der Rechtsprechung geforderte nicht unerhebliche disziplinarische Führungsrecht nicht zustehe. Das Wahlrecht gem. § 7 Satz 1 BetrVG bestehe nur für in dem Betrieb tatsächlich eingegliederte Arbeitnehmer, um eine nahe an den vertretenen Arbeitnehmern befindliche Interessenvertretung zu gewährleisten.

Der Betriebsrat hat vorgetragen, Betriebszugehörigkeit setze eine Eingliederung in den Betrieb voraus. Diese Eingliederung sei deckungsgleich mit dem Einstellungsbegriff nach § 99 BetrVG. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seien die 128 Führungskräfte in diesem Sinne eingegliedert und eine Beteiligung habe auch konsequent hier jeweils nach § 99 BetrVG stattgefunden.

Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl wegen Verstoß gegen die Wahlberechtigung für unwirksam erklärt.

Die Entscheidung:

I. Einstellungsbegriff nach § 99 BetrVG

Der Begriff der Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG bezieht sich nicht allein auf den Arbeitsvertrag. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebes verfolgt. Es kommt daher für den Rechtsbegriff der Eingliederung im Sinne von § 99 BetrVG auch weder darauf an, wo die vertraglichen Angelegenheiten des Arbeitnehmers abgewickelt werden, noch muss der betroffene Arbeitnehmer einer Bindung an Weisungen einer im Betrieb tätigen Führungskraft unterliegen. Bei Führungskräften ist es dahingehend nicht maßgeblich, ob der Vorgesetzte über Befugnisse verfügt, die ihn zur Abmahnung oder Kündigung berechtigen. Typischerweise ist bei Führungskräften von einer Eingliederung auszugehen, wenn die Führungskraft zur Durchführung der ihr obliegenden Aufgaben mit denen im Betrieb tätigen Arbeitnehmern regelmäßig zusammenarbeiten muss und damit ihre fachlichen Weisungsbefugnisse auch tatsächlich wahrnimmt, wobei es nicht auf einen zeitlichen Mindestumfang vor Ort ankommt. Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die in Rede stehenden 128 Führungskräfte im Sinne des § 99 BetrVG in dem Betrieb Region S. eingegliedert. Die Arbeitgeberin hatte auch konsequent dem Betriebsrat zur Einstellung dieser Führungskräfte in den Betrieb Region S. ordnungsgemäß beteiligt und angehört.

Hinweis für die Praxis:

Der Begriff der Eingliederung nach § 99 BetrVG führt aber noch nicht automatisch zu einer Wahlberechtigung. Für die Wahlberechtigung greift allein die Vorschrift des § 7 BetrVG.

II. Eingliederung und Wahlberechtigung?

Betriebsangehörige Arbeitnehmer im Sinne des § 7 S. 1 BetrVG sind solche Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistungen erbringen. Arbeitnehmer, die nicht betriebsangehörig sind, sind weder wahlberechtigt noch wählbar. Der Betriebsbegriff ist nicht in dem Sinne räumlich zu verstehen, dass mit der Grenze des Betriebsgrundstücks oder der Betriebsräume der Betriebsbereich endet. Vielmehr sind Betriebsangehörige auch die einem Betrieb zugeordneten Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit außerhalb der Betriebsräume verrichten. Entscheidend ist, ob der Arbeitgeber mit Hilfe der Arbeitnehmer den arbeitstechnischen Zweck seines Betriebs verfolgt. Ist der Vertragsarbeitgeber Inhaber mehrerer Betriebe kommt es für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung entscheidend darauf an, in welchem Betrieb der Arbeitnehmer tatsächlich eingegliedert ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das LAG klargestellt, dass der Eingliederungsbegriff im Sinne des § 99 BetrVG nicht mit dem im Sinne des § 7 S. 1 BetrVG übereinstimmt. So dient das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG vornehmlich den Interessen der schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Dagegen soll der Betriebsrat als Interessenvertretung der Arbeitnehmer des Betriebs sich für die Interessen der Belegschaft einsetzen. Durch § 7 BetrVG sollen die Arbeitnehmer, deren Interessen der Betriebsrat durch die Ausübung seiner Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte wahrnimmt, die personelle Zusammensetzung ihres Versetzungsorgans bestimmen können. Das LAG hält es daher nicht für sachgerecht, den 128 Matrix-Führungskräften auch ein Wahlrecht zum Betriebsrat des Betriebes Region S. einzuräumen. Dies führe auch zu keinem Nachteil, insbesondere nicht zu einem Repräsentationsdefizit. Sämtliche Matrix-Führungskräfte sind gemäß ihrer arbeitsvertraglichen Zuordnung in einem der vier anderen von der Arbeitgeberin unterhaltenen Betriebe wahlberechtigt. Eine Rechtfertigung für eine Mehrfach-Wahlberechtigung ist demgegenüber nicht ersichtlich. Dies würde vielmehr zu Mehrfach-Repräsentationen im Gesamt- und Konzernbetriebsrat führen, was nicht sinnvoll sei.

Hinweis für die Praxis:

Die Entscheidung des LAG ist allerdings nicht unumstritten. So hat z.B. das Landesarbeitsgericht Hessen erst kürzlich entschieden, es diene der Rechtssicherheit, den Eingliederungsbegriff einheitlich anzuwenden und nicht zwischen § 99 BetrVG einerseits und § 7 BetrVG andererseits zu differenzieren; ähnlich hat sich das LAG München geäußert (LAG Hessen, Beschluss vom 22.1.2024, 16 TaBV 98/23, und LAG München, Beschluss vom 22.5.2024, 11 TaBV 86/23).

Fazit:

Die Frage der Wahlberechtigung ist für das Wahlverfahren von großer Bedeutung. Fehler können hier zur Anfechtung der Wahl nach § 19 BetrVG führen. Matrix-Führungskräfte sind nicht automatisch dort wahlberechtigt, wo sie Arbeitnehmer führen. Maßgeblich ist vielmehr der Betrieb, dem sie tatsächlich zugeordnet sind. Im vorliegenden Fall war die Berücksichtigung von 128 Führungskräften im Vergleich zu den unstreitig 498 wahlberechtigten Arbeitnehmern auch wahlbeeinflussend. Das LAG hat die Wahl daher für unwirksam erklärt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit ist die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen. Das Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen 7 ABR 28/24 anhängig. Wir werden über die weitere Entwicklung der Rechtsprechung berichten.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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