
– Ableitung des Anteilswerts aus zeitnahen Verkäufen und ihre Grenzen –
In seinem am 06. Februar 2025 veröffentlichten Urteil vom 25. September 2024, II R 15/21, hatte sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit der Bewertung von Geschäftsanteilen einer Familienholding zu befassen. Die zentrale Frage war, ob Verkäufe zwischen Gesellschaftern oder die Abfindungszahlungen für Einziehungen von Anteilen als relevante Vergleichswerte für die Bewertung nach dem Bewertungsgesetz (BewG) herangezogen werden können oder ob der Substanzwert als Mindestwert gilt. Diese Bewertung ist von besonderer Relevanz für die Beurteilung und Besteuerung von Schenkungen unter den Familiengesellschaftern.
Hintergrund des Falls
Die Kläger, Erben einer verstorbenen Gesellschafterin, hielten Anteile an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft (Familienholding). Über Jahre hinweg wurden Geschäftsanteile der Gesellschaft regelmäßig zu einem festen Multiplikator des Nominalwerts (400 %) zugunsten der Mitgesellschafter eingezogen oder unter den Gesellschaftern veräußert. Nach einer Konzernbetriebsprüfung stellte das Finanzamt den Wert der Anteile jedoch nicht mehr anhand dieser historischen Transaktionen fest, sondern orientierte sich am höheren Substanzwert der Gesellschaft, der bei rund 2.400 % des Nominalwerts lag, also einem um rund das Sechsfache höheren Substanzwert.
Die Kläger argumentierten, dass sich der gemeine Wert der Anteile an der Gesellschaft aus den vergangenen Verkaufspreisen ableiten lasse, während das Finanzamt auf der Anwendung des Substanzwerts als Mindestwert bestand.
Rechtliche Fragestellung
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind nicht börsennotierte Anteile an Kapitalgesellschaften mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen (zeitnahe Veräußerungsgeschäfte), so erfolgt die Bewertung der Anteile unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode. Dabei darf der Substanzwert des Betriebsvermögens nicht unterschritten werden.
Die konkreten Fragen lauteten:
- Kann der gemeine Wert von Gesellschaftsanteilen ausschließlich aus Verkäufen zwischen fremden Dritten abgeleitet werden, selbst wenn diese Verkäufe nach festen, über Jahre hinweg unveränderten Maßstäben erfolgten?
- Muss der Substanzwert als Mindestwert angesetzt werden, auch wenn Verkäufe unter fremden Dritten einen niedrigeren Wert nahelegen?
Entscheidung des BFH
Der BFH entschied, dass der Wert von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft nicht durch den Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG begrenzt ist, wenn eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen unter fremden Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag möglich ist. Der gemeine Wert kann dann auch unter dem Substanzwert liegen.
Allerdings können Verkäufe nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, wenn über Jahre hinweg derselbe Preis angesetzt wurde, ohne die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft zu berücksichtigen. In diesem Fall sei die Bewertung nach dem höheren Substanzwert rechtmäßig.
Argumentation des BFH im Detail
- Ableitung des gemeinen Werts nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG
- Grundsätzlich ist der gemeine Wert einer Beteiligung aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten, sofern diese weniger als ein Jahr zurückliegen.
- Verkäufe unter fremden Dritten müssen nach den Prinzipien des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs erfolgen, d. h., sie müssen das Ergebnis von Angebot und Nachfrage sein.
- Alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Auszuklammern sind preisbildenden Faktoren, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind außer Acht zu lassen.
- Begrenzung durch den Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG?
- Der BFH stellte klar, dass eine Begrenzung mit dem Substanzwert nicht erforderlich ist, wenn sich der gemeine Wert aus marktgerechten Verkäufen ableiten lässt.
- In diesem Fall dient der Substanzwert nicht als Mindestwert („… der Substanzwert … als Untergrenze findet auf einen … aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten abgeleiteten Wert keine Anwendung.“).
- Kein gewöhnlicher Geschäftsverkehr bei über Jahre konstanten Preisen
- Die bisherigen Transaktionen innerhalb der Gesellschaft wurden über Jahre hinweg zu einem festen Prozentsatz des Nennwerts abgewickelt, ohne eine Anpassung an die veränderten Vermögensverhältnisse der Gesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaften.
- Dies widerspricht dem Gedanken des „gewöhnlichen Geschäftsverkehrs“, bei dem sich Preise flexibel nach wirtschaftlichen Bedingungen richten müssen.
- Dass sich der Kaufpreis nicht an den veränderten Vermögensverhältnissen orientiert hat, folgt auch aus dem aus objektiven Gründen nicht erklärbaren erheblichen Missverhältnis zu dem das Gesamtvermögen der Gesellschaft abbildenden Substanzwert.
Fazit
- Anders als die Finanzverwaltung meint, ist der Substanzwert nicht immer der Mindestwert, wenn eine Ableitung aus aktuellen Verkäufen möglich ist.
- Für die Bewertung von Anteilen an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften bleibt es entscheidend, dass Verkäufe unter fremden Dritten tatsächlich marktgerecht und unter wirtschaftlich unabhängigen Bedingungen zustande gekommen sind.
- Starre, über Jahre hinweg gleichbleibende Veräußerungspreise können nicht als Vergleichsmaßstab dienen.
- Verkäufe zwischen Gesellschaftern oder mit festen Multiplikatoren können nicht ohne Weiteres als Marktpreis herangezogen werden.
- Unternehmen sollten ihre Bewertungspraktiken anpassen, um steuerliche Nachteile zu vermeiden.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„MEYER-KÖRING ist besonders renommiert für die gesellschaftsrechtliche Beratung.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022)
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