Pressemitteilung des BGH vom 11. Februar 2025 im Verfahren KZR 74/23

Verbotene Preisabsprachen: Haften Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte für Kartellbußgelder? (credit: adobestock)

Am 11. Februar 2025 verhandelte der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs über die Frage, ob Unternehmen, gegen die ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, ihre Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder deswegen in die Haftung / in Regress nehmen können. Damit haben die Karlsruher Richter eine in der instanzlichen Rechtsprechung und in der juristischen Fachliteratur höchst umstrittene als auch praktisch höchst bedeutsame Rechtsfrage „auf dem Tisch“ gehabt. Die erste Pressemitteilung des BGH zum Verhandlungstermin am 11. Februar 2025 im Verfahren KZR 74/23 wurde daher von vielen Seiten mit Spannung erwartet. Eine abschließende Entscheidung der Karlsruher Richter enthält diese allerdings noch nicht. Denn für die Beantwortung der Frage könnte das EU-Recht von zentraler Bedeutung sein. Aus diesem Grund hat der BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zunächst die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AUEV und der europäische Grundsatz des „effet utile“ einer nationalen (deutschen) Regelung zur Geschäftsleiterhaftung für gegen das Unternehmen verhängte Kartellbußgelder entgegensteht.

Der Sachverhalt

Die Klägerin zu 1 ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Klägerin zu 2 eine Aktiengesellschaft (AG). Beide sind Teil einer Unternehmensgruppe aus dem Bereich der Edelstahlproduktion. Der Beklagte war einerseits Geschäftsführer der GmbH und zudem Vorstandsmitglied, zuletzt Vorstandsvorsitzender der AG. Unter seiner Beteiligung kam es in den Jahren 2002 bis 2015 zu einem Preiskartell unter Unternehmen der Stahlindustrie. Dabei wurde neben einem branchenweit einheitlichen Preissystem auch Schrott- und Legierungszuschläge abgestimmt. Infolgedessen verhängte das Bundeskartellamt Bußgelder gegen die GmbH in Höhe von 4,1 Mio. €. Der Beklagte musste selbst ein Bußgeld in Höhe von 126.000 € zahlen.

Die Klägerinnen machen geltend, der Beklagte habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Binnenpflicht, Gesetz und Recht zu achten (sog. Legalitätspflicht), als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt. Daher soll er – gemäß den Klägerinnen – gegenüber den Gesellschaften (Klägerinnen) nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG für sämtliche den Klägerinnen entstandenen Schäden haften, wozu unter anderem die vom Bundeskartellamt verhängten Bußgelder gehörten. Die Klägerin zu 1 fordert von dem Beklagten daher die Erstattung des von ihr gezahlten Bußgeldes. Die Klägerin zu 2 begehrt Ersatz der für die Abwehr des gegen sie verhängten Bußgeldes entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 1 Mio. Euro. Außerdem begehrt sie die Feststellung, dass den Beklagten eine Ersatzpflicht für alle weiteren, aus dem Kartellverstoß entstehenden Schäden, trifft.

Der bisherige Prozessverlauf

Das erstinstanzlich zuständige LG Düsseldorf hatte die Klagen hinsichtlich der Erstattung des Bußgeldes und der entstandenen Anwaltskosten abgewiesen. Allerdings stellte es zugunsten der Klägerinnen fest, dass den Beklagten eine Ersatzpflicht für die aus dem Kartellverstoß resultierenden weiteren Schäden treffe. Hiergegen hatten sodann die Klägerinnen und der Beklagte jeweils Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf kam in seinem Urteil zum Ergebnis, dass die gesellschaftsrechtlichen Regelungen, die Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder bei Pflichtverletzungen dazu verpflichteten, der Gesellschaft entstandene Schäden zu ersetzen, nicht für Schäden gelten würden, die durch gegen die Gesellschaft verhängte Kartellbußgelder verursacht würden. Würde die Gesellschaft Schadensersatz von ihrem Leitungsorgan verlangen können, würde der Sanktionszweck der §§ 81a bis 81d GWB unterlaufen. Die Geldbuße sei nämlich darauf ausgelegt, das Vermögen der Gesellschaft direkt und dauerhaft zu belasten. Aus diesem Grund müsse der Beklagte auch keine IT- oder Anwaltskosten ersetzen, die der Gesellschaft zur Abwehr des Bußgeldes entstanden seien. Die Binnenhaftungsnormen der §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG seien insoweit teleologisch zu reduzieren, dass die Erstattung von unternehmensbezogenen Kartellbußgeldern ausgeschlossen sei. Entsprechendes gelte dann auch bzgl. der Erstattung der IT- und Rechtsanwaltskosten, weil diese unmittelbar durch das Bußgeldverfahren und die Abwehr des Erlasses bzw. der Reduzierung von Bußgeldbescheiden gegen das Unternehmen entstanden seien und deshalb als damit zusammenhängende Nebenforderungen an der teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG teilnehmen würden.

Hiergegen wurde Revision und Anschlussrevision eingelegt: Die Klägerinnen verfolgen mit ihren Revisionen weiterhin ihre Zahlungsforderungen, während der Beklagte mit seiner Anschlussrevision die Feststellung einer zeitlichen Begrenzung seiner Ersatzpflicht erreichen möchte.

Die Pressemitteilung des BGH vom 11. Februar 2025:

Aus der Pressemitteilung des BGH zum Verhandlungstermin am 11. Februar 2025 im Verfahren KZR 74/23 ergibt sich zunächst, dass der BGH die Voraussetzungen einer persönlichen Haftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 S. 1 AktG grundsätzlich erfüllt sieht: Die Beteiligung des Geschäftsführers an dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Preiskartell sei eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Zudem sei der GmbH durch das Bußgeld auch ein Schaden entstanden. Der BGH erkennt jedoch, dass der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der konkreten Verbandsbuße widersprechen und infolgedessen eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG erforderlich sein könnte.

Auf die Beantwortung dieser umstrittenen Frage könnte im konkreten Fall das Unionsrecht von entscheidender Bedeutung sein. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellverbot in Art. 101 AEUV verstoßen würden. Eine unionsrechtskonforme Auslegung könnte es daher gebieten, § 43 Abs. 2 GmbHG dahingehend einschränkend auszulegen, einen Regress der GmbH bei ihrem Geschäftsführer für Kartellbußgelder abzulehnen. Eine Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften könnte andernfalls den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigen.

Diese Frage hat der BGH daher dem EuGH zur Klärung vorgelegt.

Was sind die Folgen für die Praxis?

Zunächst ist festzuhalten, dass aus der Pressemitteilung des BGH (noch) nicht die erhoffte Rechtssicherheit folgt. Die Frage einer persönlichen Regresshaftung der Geschäftsleiter für Kartellbußgelder wird erst mit der Antwort des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren geklärt werden. Die Entscheidung dürfte mit großer Spannung erwartet werden. Denn die Regressierbarkeit von Kartellbußgeldern würde zu einer Haftungsabwälzung der Unternehmen auf ihre Geschäftsleiter führen, sodass sich die Unternehmen selbst schadlos halten könnten. Im nächsten Schritt wäre dann die Frage zu klären, ob und wenn ja, inwieweit sog. D&O-Versicherungen von Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten auch zur Deckung entsprechender Regressansprüche in Anspruch genommen werden können. Wäre dies der Fall, hätten letztlich auch die Geschäftsleiter keine oder kaum dauerhafte finanzielle Einbußen infolge eines kartellrechtlichen Verstoßes zu befürchten. Damit hätten vor allem die Kartellbußgelder im Europäischen Kartellbußgeldrecht ihre Sanktionswirkung weitestgehend eingebüßt. Es dürfte daher nicht auszuschließen sein, dass der EUGH jedenfalls für Unternehmens-Kartellbußgelder – mit Verweis auf den „effet utile“-Grundsatz – eine persönliche Regresshaftung der Geschäftsleiter verneint.

Ob die anstehende Rechtsprechung des BGH und des EuGH auch auf andere Gebiete des Ordnungswidrigkeitenrechts (z.B. AWG, MiLoG, SchwarzArbG, GwG) ausstrahlen wird, mit der Folge, dass pflichtvergessene Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte insgesamt nicht mehr in Regress für gegen das Unternehmen verhängte Bußgelder genommen werden können, dürfte derzeit noch unklar sein. Denn insoweit lässt der Beschluss des BGH bereits durchblicken, dass die Regressierbarkeit des Bußgeldes jedenfalls maßgeblich vom Schutzzweck der jeweils verletzten Vorschriften abhängt. Kommt das entscheidende Gericht im jeweiligen Fall zu der Einschätzung, dass der Schutzzweck nicht durch die Regressierbarkeit des Bußgeldes betroffen ist, dürfte eine persönliche Haftung des Geschäftsleiters gegenüber der Gesellschaft grundsätzlich in Betracht kommen. Dies dürfte vor allem dann möglich sein, wenn es um nicht unionsgeprägte Bußgeldvorschriften geht, die neben der Bebußung des Unternehmens auch die Bebußung der Geschäftsleiter in persona vorsehen. Insofern dürfte man immer auf den Einzelfall abzustellen haben, was fachgerechte Beratung unerlässlich macht.

Bei Fragen rund um die Haftung von Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten können Sie sich gerne an den Autor dieses Beitrages wenden.

Autor: Dr. Karl Brock

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  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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