Interne Stellenausschreibung: Einladungspflicht schwerbehinderter Bewerber?
Öffentliche Arbeitgeber sind bekanntlich nach § 165 S. 3 SBG IX verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das BAG hat in einem aktuellen Urteil nun klargestellt, dass diese Verpflichtung auch rein interne Stellenbesetzungen betrifft (BAG v. 25.4.2024, 8 AZR 143/23). Im konkreten Fall hat allerdings das BAG einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG dennoch abgelehnt. Wir möchten die wichtige Entscheidung hier erläutern.
Der Fall:
Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Sie war befristet im Bereich der Datenerfassung in der medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Rahmen eines Drittmittelprojektes beschäftigt.
Das Land erklärte während der einjährigen Befristung vom 15.2.2021 bis zum 14.2.2022 zwei ordentliche Kündigungen zum 31.7.2021, die aber rechtskräftig für unwirksam erklärt wurden. Es blieb daher bei der Jahresbefristung.
Am 29.4.2021 und am 3.5.2021 wurde eine interne Ausschreibung für die Stelle einer Sekretärin der Naturwissenschaftlichen Fakultät II, Institut für Physik, veröffentlicht. In beiden Ausschreibungen sollten die Bewerbungen „mit den üblichen Unterlagen“ an die Naturwissenschaftliche Fakultät, konkret Prof. Dr. S., gerichtet werden. Zudem wurde in beiden Stellenausschreibungen darauf hingewiesen, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung und Befähigung bevorzugt berücksichtigt werden. Keine der Stellenausschreibungen enthielt einen Hinweis darauf, dass die Personalakte im Bewerbungsverfahren beigezogen wird.
Auf die Bewerbung der Klägerin wird nicht reagiert
Die Klägerin bewarb sich auf die ausgeschriebenen Stellen direkt bei den in den Stellenausschreibungen angegebenen Instituten. Auf ihre Behinderung und Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen wies sie in den Bewerbungsunterlagen nicht hin. Sie erhielt weder eine Zu- oder Absage auf ihre Bewerbung, vielmehr erfolgte keine Reaktion.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe wegen der fehlenden Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gemäß § 165 S. 3 SGB IX einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung und Benachteiligung nach § 15 Abs. 2 AGG. Sie habe auf ihre Gleichstellung nicht hinweisen müssen, weil diese bei der Universität bekannt gewesen sei und es sich um eine interne Stellenausschreibung gehandelt habe. Es sei ausreichend, dass die Personalabteilung als personalführende Stelle Kenntnis gehabt habe. Die Fakultäten, die die Bewerbungsverfahren durchgeführt hätten, seien verpflichtet gewesen, bei der Personalabteilung in Erfahrung zu bringen, ob eine oder mehrere Bewerber schwerbehindert oder gleichgestellt gewesen seien.
Das Arbeitsgericht hat u.a. in erster Instanz den Entschädigungsanspruch abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht hingegen der Klage im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch stattgeben.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des LAG aufgehoben und einen Entschädigungsanspruch abgelehnt.
I. Einladungspflicht auch bei internen Stellenausschreibungen!
Das BAG hat zunächst ausführlich begründet, dass eine Einladungspflicht schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch gemäß § 165 S. 3 SGB IX auch bei internen Stellenbesetzungen besteht. Insbesondere eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Norm gebietet, dass öffentliche Arbeitgeber verpflichtet sind, auch interne schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Bewerber durch das in § 165 S. 3 SGB IX genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen. Dieser Gesetzeszweck gebietet eine weite Auslegung von § 165 S. 3 SGB IX dahin, dass eine Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Menschen nicht nur dann besteht, wenn diese sich als externe Bewerber um eine Einstellung bewerben, sondern auch dann, wenn sie sich als interne Bewerber auf eine andere Stelle bei ihrem Arbeitgeber bewerben, wobei damit häufig ein beruflicher Aufstieg verbunden ist.
Hinweis für die Praxis:
Die Einladungspflicht betrifft nur den öffentlichen Arbeitgeber. Private Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, jeden schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch zwingend einzuladen. Die Absage einer Einladung darf dann aber natürlich nicht mit der Schwerbehinderung begründet werden.
II. Aber: Hinweispflicht des Schwerbehinderten
Im vorliegenden Fall hat das BAG trotz der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch einen Entschädigungsanspruch dennoch abgelehnt. Die Klägerin hatte nämlich ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen in dem Bewerbungsverfahren nicht mitgeteilt. Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen § 165 S. 3 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung im Sinne von § 22 AGG aber nur begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war oder er diese kennen musste.
Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise bereits über diese Information verfügt. Anderenfalls fehlt es an der Ursächlichkeit der Schwerbehinderung für die benachteiligenden Maßnahmen. Einer Mitteilung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung bedarf es nur dann nicht, wenn dem Arbeitgeber außerhalb des Bewerbungsverhältnisses die Schwerbehinderteneigenschaft positiv bekannt ist. Das kann grundsätzlich bei einer Innenbewerbung der Fall sein.
Im vorliegenden Fall wurde aber das Bewerbungsverfahren dezentral durchgeführt. Die das Bewerbungsverfahren durchführenden Fakultäten sind von der zentralen Personalabteilung organisatorisch getrennt. Die Personalabteilung war nur für den formalen Abschluss des Arbeitsvertrages mit den im Bewerbungsverfahren ausgewählten Bewerbern zuständig. Diese dezentrale Durchführung der Bewerbungsverfahren war für die Klägerin hier erkennbar. Ausdrücklich sollten die „üblichen Bewerbungsunterlagen“ eingereicht werden. Die Klägerin hatte sich aber dazu entschieden, ihre bestehende Gleichstellung im Bewerbungsverfahren nicht offenzulegen.
Fazit:
Öffentliche Arbeitgeber sind nach § 165 S. 3 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dies gilt nach der hier besprochenen Entscheidung ausdrücklich auch bei internen Stellenbesetzungen! Der Bewerber muss im Rahmen der Stellenbewerbung auf seine Schwerbehinderung oder Gleichstellung hinweisen. Ist dem öffentlichen Arbeitgeber allerdings die Schwerbehinderung oder Gleichstellung ohnehin bereits bekannt, bedarf dieses Hinweises nicht. Voraussetzung ist dann aber, dass die ausschreibende Stelle ebenfalls diese Kenntnis hat. Bei einer dezentralen Durchführung muss dies nicht zwingend der Fall sein. Maßgeblich ist daher nicht der objektive Verstoß gegen die Einladungspflicht, sondern Voraussetzung ist stets die subjektive Kenntnis.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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