Analyse und Kommentierung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29.08.2024, V R 43/21.
Der BFH befasste sich mit der steuerlichen Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art (BgA) gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Im Zentrum des Falls stand die Frage, ob mehrere BgA, darunter ein (defizitäres) Freibad, Blockheizkraftwerke (BHKW), und die Wasserversorgung, zu einer steuerlichen Einheit zusammengefasst werden können.
1. Sachverhalt
Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, betrieb mehrere Betriebe gewerblicher Art (BgA), darunter ein Freibad, die Wasserversorgung sowie Blockheizkraftwerke (BHKW). Der Betrieb des Freibades führte zu negativen Einkünften, während die anderen BgA, insbesondere die Wasserversorgung und die BHKW, positive Ergebnisse erwirtschafteten. Die Klägerin beabsichtigte, die Verluste des Freibads mit den Gewinnen der anderen BgA zu verrechnen, um eine steuerliche Entlastung zu erzielen. Das Finanzamt vertrat jedoch die Auffassung, dass diese Zusammenfassung unzulässig sei, da keine ausreichende technisch-wirtschaftliche Verflechtung zwischen dem Freibad und den anderen BgA gegeben sei. Insbesondere stellte das Finanzamt darauf ab, dass das Freibad nur eine einseitige Wärmeversorgung durch die BHKW erhalten habe und keine wechselseitige Abhängigkeit oder ein gegenseitiger Leistungsaustausch zwischen den BgA von einigem Gewicht bestand. Die Lieferung von Wärme durch die BHKW an das Freibad sei vergleichbar mit einer externen Drittlieferung und begründe keine enge wirtschaftliche Einheit.
2. Rechtliche Grundlagen
Ein BgA kann gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG mit einem oder mehreren anderen BgA zusammengefasst werden, wenn bestimmte Bedingungen alternativ erfüllt sind:
- Gleichartigkeit: Die BgA müssen gleichartig sein (Nr. 1).
- Technisch-wirtschaftliche Verflechtung: Zwischen den BgA muss nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse eine enge, wechselseitige, technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht bestehen (Nr. 2).
- Bestimmte BgA-Typen: Es muss sich um bestimmte BgA, wie zum Beispiel Versorgungs-, Verkehrs- oder Hafenbetriebe, handeln (Nr. 3).
Diese rechtlichen Grundlagen dienen dazu, die steuerliche Zusammenfassung auf konkrete Fälle zu beschränken, in denen eine tatsächliche wirtschaftliche Einheit vorliegt, um potenzielle Missbräuche zu verhindern. Das beinhaltet ein Verbot der Zusammenfassung der nicht von dieser Regelung erfassten BgA. Eine Zusammenfassung von BgA ohne Beachtung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 ist steuerlich nicht anzuerkennen. Bei Verstoß ist eine getrennte Erfassung der einzelnen wirtschaftlichen Tätigkeiten vorzunehmen und jeder der verschiedenen BgA mit dem von ihm erzielten Ergebnis zu besteuern, so dass eine Verlustverrechnung zwischen einem Verlust-BgA und einem Gewinn-BgA nicht stattfinden kann. Weitere Folgen, z.B. vGA, sind nicht zu ziehen (Bürstinghaus in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 327. Lieferung, 8/2024, § 4 KStG, Rn. 82).
3. Entscheidung des Finanzgerichts
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein hatte erstinstanzlich die Zusammenfassung noch bejaht. Es stützte sich auf eine zweistufige Prüfung:
- Die BgA „BHKW“ und „Wasserversorgung“ könnten als Versorgungsbetriebe gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG zusammengefasst werden.
- Diese Einheit könne anschließend mit dem BgA „Freibad“ gemäß Nr. 2 KStG kombiniert werden, da eine enge technisch-wirtschaftliche Verflechtung zwischen Freibad und BHKW vorliege.
4. Revision durch das Finanzamt
Das Finanzamt argumentierte, dass das Freibad nicht in diese Zusammenfassung einbezogen werden könne. Es fehlte an einer wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den BgA. Insbesondere sei das Freibad nicht zentral für den Betrieb der BHKW.
5. Urteilsbegründung des BFH
5.1 Keine Kettenzusammenfassungen
Der BFH entschied, dass § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG keine Kettenzusammenfassungen erlaubt. Unter einer Kettenzusammenfassung versteht man die schrittweise Zusammenfassung mehrerer BgA zu einer Einheit, indem zunächst zwei BgA zusammengefasst werden und anschließend diese Einheit mit einem weiteren BgA kombiniert wird. Dies würde bedeuten, dass die rechtlichen Anforderungen nur in Teilabschnitten geprüft werden müssten, was den gesetzlichen Zweck unterlaufen könnte. Der BFH betonte, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenfassung stets direkt zwischen allen BgA vorliegen müssen, die in eine steuerliche Einheit zusammengefasst werden sollen. Somit ist eine stufenweise oder sukzessive Prüfung der Voraussetzungen unzulässig.
5.2 Zielsetzung des § 4 KStG
Sinn und Zweck des § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG bestehendarin, sicherzustellen, dass die steuerlichen Ergebnisse der einzelnen Betriebe gewerblicher Art (BgA) einer juristischen Person des öffentlichen Rechts separat behandelt werden. Dies soll verhindern, dass Gewinne aus einer wettbewerbsrelevanten Tätigkeit mit Verlusten aus anderen Tätigkeiten ausgeglichen werden, was zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen könnte. Eine Zusammenfassung von BgA ist daher nur gerechtfertigt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, die eine enge wirtschaftliche und technische Verflechtung zwischen den zusammenzufassenden BgA sicherstellen. Ziel ist es, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und sicherzustellen, dass die steuerliche Begünstigung nur bei tatsächlich bestehenden, engen wirtschaftlichen Zusammenhängen erfolgt. Eine Zusammenfassung wäre somit nur gerechtfertigt, wenn die genannten Voraussetzungen für alle betroffenen BgA erfüllt wären.
5.3 Technisch-wirtschaftliche Verflechtung
Der BFH betonte, dass eine enge technisch-wirtschaftliche Verflechtung eine gegenseitige, von einigem Gewicht geprägte Abhängigkeit zwischen den BgA erfordert. Im vorliegenden Fall war diese Verflechtung zwischen dem BgA „Freibad“ und dem BgA „Wasserversorgung“ nicht gegeben, auch dann nicht, wenn unterstellt wird, dass das Freibad seinen wichtigsten Betriebsstoff Wasser vom BgA „Wasserversorgung“ bezogen hat.
Fazit
Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab. Damit steht fest, dass die Zusammenfassung von mehr als zwei BgA nur zulässig ist, wenn die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG unmittelbar zwischen allen BgA bestehen.
Die Entscheidung bestätigt die Wichtigkeit der gründlichen Prüfung technisch-wirtschaftlicher Verflechtungen.
Sie hast zudem Auswirkungen die sog. Spartenrechnung gemäß § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 KStG i.V.m. § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG, mit der die Ergebnisverrechnung bei kommunalen Eigengesellschaften mit strukturell dauerdefizitären Tätigkeiten an die für Betriebe gewerblicher Art (BgA) geltenden Grundsätze ausgerichtet werden soll (BT-Drucks 16/10189, S. 70; BTDrucks 16/11108, S. 27; BFH, Urteil vom 16.12.2020 – I R 50/17 und Beschluss vom 23.09.2019 – I R 25/17, BFH/NV 2020, 522). Nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 KStG dieser Vorschrift sind bei Kapitalgesellschaften, bei denen § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG zur Anwendung kommt, die einzelnen „Tätigkeiten, die nach § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG zusammenfassbar sind“ einer gesonderten Sparte zuzuordnen.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht.“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2024)
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