14.11.2024 -

Steuerliche Behandlung von Verlusten aus Kapitalvermögen: Herausforderungen, Rechtsprechung und Handlungsempfehlungen

Verluste aus Kapitalvermögen sind eine steuerrechtliche Herausforderung, insbesondere aufgrund der komplexen Vorschriften und Beschränkungen zur Verlustverrechnung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG).
Die Rechtsprechung hat sich häufig mit der steuerlichen Behandlung von Verlusten aus Kapitalvermögen zu beschäftigen (credits: adobestock).

Einleitung

Verluste aus Kapitalvermögen sind eine steuerrechtliche Herausforderung, insbesondere aufgrund der komplexen Vorschriften und Beschränkungen zur Verlustverrechnung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Mit der Einführung der Abgeltungsteuer 2009 hat der Gesetzgeber eine umfassende Steuerbarkeit von Substanzgewinnen und -verlusten innerhalb eines besonderen Besteuerungssystems etabliert. Die steuerliche Behandlung dieser Verluste und deren Verrechnung unterliegt allerdings speziellen Beschränkungen, die in der Praxis oft zu Rechtsunsicherheiten führen.

Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte und die einschlägige Rechtsprechung dargestellt, inklusive einer abschließenden Zusammenfassung.

1. Anerkennung von Verlusten aus Kapitalvermögen

Verluste aus Kapitalvermögen entstehen durch verschiedene Ereignisse, wie etwa den endgültigen Ausfall von Forderungen, die Veräußerung wertloser Aktien oder den Forderungsverzicht eines Gesellschafters. Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) ist steuerlich relevant und wird als eine Rückzahlung zu Null angesehen, was zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust führt.

Gleiches gilt auch für einen Forderungsverzicht: Ein durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasster Forderungsverzicht eines Gesellschafters führt zu einer Einlage gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG, sofern auf den werthaltigen Teil der Forderung verzichtet wird. Ist ein Verzicht nicht durch das Gesellschaftsverhältnis bedingt, kommt es darauf an, ob der Verzicht eine Einkünfteerzielungsabsicht verfolgt, z.B. wenn er im Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen steht. Fehlt es an einer solchen Absicht, ist der Verlust nicht steuerlich abziehbar.

Beispiele aus der Rechtsprechung:

  • BFH VIII R 28/18: Hier wurde festgelegt, dass der Ausfall einer Kapitalforderung als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen ist, wenn das Insolvenzverfahren über den Schuldner eröffnet wurde und Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde. Bis zur Entscheidung BFH VIII R 28/18 hatte der BFH die Frage des Zeitpunkts, ab dem der endgültige Ausfall einer privaten Kapitalforderung steuerlich berücksichtigt werden kann, nicht eindeutig im Kontext der Insolvenzanmeldung und der Masseunzulänglichkeit geregelt. Vorher war es oft umstritten, wann genau ein Forderungsausfall als endgültig gilt und somit als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen angesetzt werden kann. Mit BFH VIII R 28/18 hat der BFH klargestellt, dass der Verlust steuerlich anzuerkennen ist, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde und der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Diese Klarstellung bringt eine wichtige Vereinfachung für Steuerpflichtige, da nun eindeutige Kriterien für den Zeitpunkt der Anerkennung eines Forderungsausfalls vorliegen. Früher war es oft erforderlich, bis zur endgültigen Beendigung des Insolvenzverfahrens abzuwarten, was eine erhebliche zeitliche Verzögerung bei der steuerlichen Berücksichtigung zur Folge hatte. Die neue Rechtsprechung reduziert diese Unsicherheiten, indem sie präzise festlegt, dass bereits die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ausreichend ist, um den Verlust anzuerkennen.
  • BFH VIII R 11/18: Der Bundesfinanzhof hat festgestellt, dass Verluste aus Aktienveräußerungen nur mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen verrechnet werden dürfen, was eine spezifische Verlustverrechnungsbeschränkung darstellt. Aufgrund verfassungsrechtlicher Zweifel hat der BFH entschieden, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Der BFH begründet dies damit, dass die Beschränkung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen könnte, da Steuerpflichtige mit Verlusten aus Aktienveräußerungen gegenüber anderen Kapitalanlegern benachteiligt werden. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht gerechtfertigt.

2. Verlustverrechnungsbeschränkungen nach § 20 Abs. 6 EStG

Die Verlustverrechnungsbeschränkungen sind besonders hervorzuheben, da sie wesentliche Einschränkungen für die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten darstellen. § 20 Abs. 6 EStG unterscheidet verschiedene Kategorien von Verlusten und ordnet ihnen spezifische Verrechnungsmöglichkeiten zu.

  • Aktienveräußerungsverluste (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG): Diese Verluste dürfen nur mit Gewinnen aus Aktienveräußerungen verrechnet werden. Der BFH hat dazu Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit geäußert, da Steuerpflichtige ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden.
  • Termingeschäfte (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG): Verluste aus Termingeschäften dürfen nur mit Gewinnen aus solchen Geschäften und Stillhalterprämien verrechnet werden. Zudem sind sie auf 20.000 Euro pro Jahr beschränkt, was zu einer zeitlichen Streckung des Verlustabzugs führt.
  • Verluste aus der Uneinbringlichkeit von Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 6 Satz 6 EStG): Verluste, die aus der Ausbuchung oder dem sonstigen Ausfall von Kapitalforderungen entstehen, unterliegen ebenfalls einer Verrechnungsbeschränkung auf 20.000 Euro jährlich, jedoch sind die positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen hier allgemein zur Verrechnung verfügbar.

3. Rechtsprechung des BFH zu Verlusten aus Kapitalvermögen

Die Rechtsprechung des BFH hat in verschiedenen Urteilen die Voraussetzungen für die Anerkennung und die Behandlung von Verlusten konkretisiert:

  • BFH IX R 5/20: In diesem Fall entschied der BFH, dass der endgültige Ausfall einer privaten Darlehensforderung einen steuerlich relevanten Verlust darstellt, sofern endgültig feststeht, dass keine Rückzahlungen mehr erfolgen werden.

    Im konkreten Fall handelte es sich um eine Forderung gegen eine GmbH, bei der der Darlehensgeber als Gesellschafter auftrat. Die darlehensnehmende GmbH befand sich in einer wirtschaftlich schwierigen Lage und war nicht mehr in der Lage, das Darlehen zurückzuzahlen. Der BFH stellte klar, dass der Verlust steuerlich anzuerkennen ist, wenn endgültig feststeht, dass der Schuldner keine Zahlungen mehr leisten kann, z. B. durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Wichtig ist, dass der endgültige Forderungsausfall durch objektive Umstände, wie den Abschluss der Liquidation oder eine vergleichbare Situation, belegt werden muss. Diese Entscheidung des BFH stellt eine wichtige Präzisierung hinsichtlich des Zeitpunkts dar, ab dem ein solcher Verlust anerkannt werden kann.
  • BFH IX R 21/21: Bei in der Krise stehen gelassenen Gesellschafterdarlehen ist der Verlust mit dem Teilwert im Zeitpunkt des Eintritts der Krise anzusetzen.

    Der Begriff ‚Zeitpunkt der Krise‘ bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem die finanzielle Schieflage der Gesellschaft so gravierend wird, dass ohne Maßnahmen zur Kapitalstärkung oder zusätzliche Finanzierungen die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft gefährdet wäre. Es geht um eine Situation, in der die Fortführung des Unternehmens fraglich ist, etwa wenn die Gesellschaft keine ausreichenden liquiden Mittel mehr hat, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. In diesem Kontext wird das Gesellschafterdarlehen als eigenkapitalersetzend betrachtet, da der Gesellschafter das Darlehen in der Hoffnung stehen lässt, die Gesellschaft zu stützen. Der BFH entschied, dass in solchen Fällen der Verlust nur mit dem Teilwert angesetzt werden kann, der zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise ermittelt wird. Damit wird verhindert, dass der steuerliche Verlust höher angesetzt wird als der tatsächliche wirtschaftliche Wert des Darlehens in der Krisensituation.
  • BFH VIII R 18/16: Ein Forderungsverzicht führt zu einem steuerlich anzuerkennenden Forderungsausfall, wenn der Verzicht auf den nicht werthaltigen Teil der Forderung erfolgt und der Steuerpflichtige Anschaffungskosten getragen hat.

    Mit der Formulierung ‚Anschaffungskosten getragen‘ ist gemeint, dass der Steuerpflichtige für den Erwerb oder die Bereitstellung der Forderung tatsächlich Aufwendungen hatte. Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige beispielsweise eine Darlehensforderung gekauft oder im Rahmen der Finanzierungsmittel bereitgestellt hat, wobei diese Anschaffungskosten den Wert der Forderung bestimmen. Nur wenn tatsächlich solche Anschaffungskosten getragen wurden, kann der Forderungsverzicht steuerlich als Verlust berücksichtigt werden, da damit eine tatsächliche wirtschaftliche Belastung nachgewiesen wird.

4. Verfassungsmäßige Zweifel an den Verlustverrechnungsbeschränkungen

Der BFH hat erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an den gesetzlichen Verlustverrechnungsbeschränkungen geäußert. Zu beachten ist, dass insbesondere die Regelungen zu den Verlustverrechnungsbeschränkungen für Termingeschäfte und Aktienveräußerungen gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen könnten, da sie zu einer asymmetrischen Besteuerung führen. Während Gewinne in vollem Umfang besteuert werden, sind die Verluste nur eingeschränkt abziehbar, was eine Benachteiligung der Steuerpflichtigen darstellt.

Im Vorlagebeschluss vom 17. November 2020 – VIII R 11/18 hat der BFH entschieden, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen, um die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung zu klären. Der Sachverhalt betraf Verluste aus Aktienveräußerungen, die gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen. Der BFH sah hierin eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erlitten haben, gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die Verluste aus anderen Kapitalanlagen geltend machen.

Der BFH argumentierte, dass diese Verlustverrechnungsbeschränkung gegen das objektive Nettoprinzip verstoße, da Verluste und Gewinne ungleich behandelt werden, was zu einer asymmetrischen Steuerbelastung führt. Gewinne aus Aktienveräußerungen sind voll steuerpflichtig, während Verluste nur eingeschränkt abziehbar sind. Damit werden Steuerpflichtige, die Verluste aus Aktiengeschäften erleiden, steuerlich benachteiligt. Diese Regelung widerspricht nach Auffassung des BFH dem Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, wonach steuerliche Belastungen die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigen sollen.

Der BFH führte weiter aus, dass es keinen hinreichenden sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung gebe. Die Regelung werde unter anderem damit gerechtfertigt, spekulative Verluste zu beschränken und den Steuerfiskus vor Einnahmeausfällen zu schützen. Der BFH erachtete diese Begründung jedoch als unzureichend, da die Verluste ohnehin nur innerhalb des Kapitalbereichs verrechnet werden können und keine Einkommensart übergreifende Verrechnung erfolgt. Die Ungleichbehandlung werde daher nicht durch ein legitimes Ziel gedeckt und sei unverhältnismäßig.

Zusätzlich verwies der BFH darauf, dass diese Verlustverrechnungsbeschränkung die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs birgt. Wenn Steuerpflichtige nach einem Verlust aus Aktienverkäufen keine gleichartigen Gewinne mehr erzielen, können diese Verluste nicht genutzt werden und gehen letztlich unter. Dies widerspreche dem Grundsatz der Gleichbehandlung und könne zu einer steuerlichen Ungerechtigkeit führen.

Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Zweifel hat der BFH das BVerfG angerufen, um zu klären, ob die Beschränkungen des § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind. Der BFH betonte dabei die Notwendigkeit, die steuerliche Behandlung von Gewinnen und Verlusten gleichmäßig und gerecht zu gestalten, um eine Verzerrung der Steuerlast zu vermeiden.

Zusammenfassung

Die steuerliche Behandlung von Verlusten aus Kapitalvermögen unterliegt nach Einführung der Abgeltungsteuer einem komplexen Regelwerk, das durch Verlustverrechnungsbeschränkungen erheblich eingeschränkt wird. Diese Beschränkungen verhindern in vielen Fällen eine vollumfängliche Berücksichtigung der Verluste und führen zu einer ungleichen steuerlichen Belastung zwischen Gewinnen und Verlusten. Die Rechtsprechung des BFH zeigt, dass es bei der Anwendung dieser Regelungen immer wieder zu Streitigkeiten kommt, insbesondere was den Zeitpunkt der Verlustentstehung und die Zulässigkeit der Verlustverrechnung betrifft. Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen werden auch in der juristischen Literatur und von Gerichten geteilt, sodass hier in Zukunft weitere Entscheidungen zu erwarten sind.

Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, bei Fragen zur steuerlichen Behandlung von Verlusten aus Kapitalvermögen und insbesondere bei Zweifeln an der Verlustverrechnung fachkundigen Rat einzuholen. Steuerpflichtige sollten sich in entsprechenden Fällen an einen steuerrechtlich versierten Rechtsanwalt oder Steuerberater wenden, um sicherzustellen, dass ihre Interessen bestmöglich vertreten werden und etwaige steuerliche Nachteile vermieden werden.


Autor: RA & StB Andreas Jahn

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