06.11.2024 -
Das LAG Köln hat klargestellt, dass eine verspätete Zielvorgabe auch zu Unternehmenszielen zu einem vollen Vergütungsanspruch führen kann.
Bei variablen Vergütungen muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Zielvorgabe setzen. Welche Rechtsfolge ergibt sich aus einer verspäteten Zielvorgabe? (credits: adobestock)

In vielen Arbeitsverträgen sind mit den Mitarbeitern nicht nur Fixgehälter vereinbart, sondern auch variable Vergütungsansprüche. Häufig spricht man dann von einem Zielgehalt, dass sich aus einem Fixgehalt und einer variablen Vergütung zusammensetzt.

Im Zusammenhang mit der variablen Vergütung kommt es aber immer wieder zu vielfältigen Fragestellungen. Ein Streitpunkt liegt häufig in der verspäteten Vereinbarung der für die Berechnung der variablen Vergütung notwendigen Zielerreichungspunkte bzw. Zielvorgaben. Das LAG Köln hat nun in einem wichtigen Urteil klargestellt, dass eine verspätete Zielvorgabe auch zu Unternehmenszielen zu einem vollen Vergütungsanspruch führen kann (LAG Köln v. 6.2.2024, 4 Sa 390/23). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis aufbereitet besprechen.

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund einer verspätet erfolgten Zielvorgabe für das Jahr 2019.

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Unternehmen vom 18.7.2016 bis zum 30.11.2019 als Head of Advertising am Standort in Köln tätig. Der Kläger war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung.

Arbeitsvertrag

Nach seinem Arbeitsvertrag setzte sich das Gehalt wie folgt zusammen:

„4.1 Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit ein Jahreszielgehalt in Höhe von EUR 95.000 (i. W. fünfundneunzigtausend) bei 100 % Zielerreichung. Das Zielgehalt setzt sich aus einem Bruttofixgehalt in Höhe von EUR 66.500 (i. W. sechsundsechzigtausendfünfhundert) und einer variablen Vergütung in Höhe von brutto EUR 28.500 (i. W. achtundzwanzigtausendfünfhundert) bei 100 % Zielerreichung zusammen.

4.2 Die Ziele werden zunächst zeitnah nach Antritt der Beschäftigung und im Folgenden zu Beginn eines jeden Kalenderjahres vom Vorgesetzten definiert die Zieldefinition diesem Arbeitsvertrag spätestens 4 Wochen nach Arbeitsaufnahme als Anlage hinzugefügt.

4.3 Eine Unter- oder Übererfüllung der Ziele wird anteilig berechnet. Eine Übererfüllung der Ziele wird bis zu 200 % vergütet. Die Zahlung der variablen Vergütung erfolgt jährlich nach Abschluss eines Geschäftsjahres, spätestens im Februar des Folgejahres.

[…]“

In der Folge wurde das Jahreszielgehalt auf 102.125,00 € angehoben, bestehend aus einem Fixgehalt in Höhe von 71.488,00 € und einem variablen, erfolgsabhängigen Vergütungsanspruch in Höhe von 30.637,00 € bei 100 % Zielerreichung.

Es kam dann später noch zu einer ergänzenden Betriebsvereinbarung über das Vergütungsmodell für alle Mitarbeiter, die wir hier wegen der umfangreichen Regelungen nicht im Detail wiedergeben. Relevant für die Beurteilung des vorliegenden Falls waren jedenfalls zur Berechnung der variablen Vergütung neben konkreten individuellen Zielen auch die Vorgabe von Unternehmenszielen.

Kündigung und Streitgegenstand

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019. Kurz vor Ende seiner Beschäftigung am 22.11.2019 legte eine Mitarbeiterin der Personalabteilung dem Kläger die Vereinbarung für die Unternehmensziele mit der Bitte um Unterzeichnung vor.

Die Beklagte zahlte dann im Nachgang an den Kläger unter Berücksichtigung der im November vorgegebenen Unternehmensziele eine variable Vergütung in Höhe von 15.586,55 € aus. Der Kläger hingegen ist der Auffassung, die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 sei verspätet erfolgt. Es sei daher unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes von einer Zielerreichung im Hinblick auf die Unternehmensziele von 100 % auszugehen. Unter Berücksichtigung seiner übererfüllten Individualziele mit 142 % sei damit von einer Gesamtzielerreichung von 112,6 % auszugehen. Die variable Vergütung betrug 30.637,00 €. Berücksichtige man sein unterjähriges Ausscheiden und den Anspruch von damit nur 11/12 stünde ihm eine variable Vergütung in Höhe von 31.622,49 € abzüglich bereits gezahlter 15.586,55 € zu, mithin also noch weitere 16.035,94 €.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

I. Einseitige Zielvorgabe

Anders als Zielvereinbarungen werden Zielvorgaben alleine vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt wird. Die Erklärung der Zielvorgabe ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit rechtsgestaltendem Charakter.

Die Verpflichtung zur Zielvorgabe trifft hier den Arbeitgeber. Dieser muss die Zielvorgaben so rechtzeitig erteilen, dass der Arbeitnehmer hierauf noch Einfluss nehmen kann und die Anreizfunktion erfüllt wird.

II. Höhe des Schadensersatzes?

Die verspätete Zielvorgabe war hier eindeutig. Zu klären war aber die Frage, ob die verspätete Information über die Unternehmensziele gleichzeitig zu einem 100%igen Anspruch führte oder aber noch berücksichtigt werden konnte, da sie ja noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses mitgeteilt wurde. So hat in erster Instanz das Arbeitsgericht argumentiert. Die Zielperiode sei trotz der verspäteten Mitteilung noch nicht abgelaufen gewesen. Eine Festlegung der Ziele für das laufende Jahr sei jedenfalls für Unternehmensziele auch noch möglich. Anders als Individualziele könnten Unternehmensziele, so das Arbeitsgericht in der ersten Instanz, nicht maßgeblich beeinflusst werden. Es sei daher vor allem zu prüfen, ob die vorgegebenen Unternehmensziele nach pflichtgemäßer Beurteilung überhaupt erreichbar gewesen seien.

Das LAG hat dieser Begründung eine deutliche Absage erteilt. Die Vereinbarung von Zielen habe immer auch eine Anreizfunktion. Ziele werden vorgegeben, um den Arbeitnehmer zu einer Leistungssteigerung zu motivieren.

Im vorliegenden Fall erfolgte jedenfalls die mündliche Festsetzung der Unternehmensziele frühestens in einem Meeting am 15.10.2019, schriftlich sogar erst im November 2019. Damit war zu diesem Zeitpunkt das Geschäftsjahr zu mehr als ¾ abgelaufen. In solchen Fällen verbleibt dem Arbeitnehmer kein hinreichender Zeitraum mehr, die vorgegebenen Jahresziele effektiv zu verfolgen. Die Vereinbarung von Zielen ist dann sinnentleert.

Dies gilt ausdrücklich auch bei der Vereinbarung von Unternehmenszielen. Richtig mag es zwar sein, dass auf Unternehmensziele weniger Einfluss genommen werden kann als auf die Vereinbarung von individuellen Zielen. Das führt aber nur dazu, dass die Einflussmöglichkeiten insoweit unterschiedlich sind. Eine Anreizfunktion von unternehmensbezogenen Zielen wird dadurch aber nicht per se ausgeschlossen. Gerade Mitarbeiter auf hohen Hierarchieebenen können in gewissem Umfang Einfluss auf die Unternehmenskennzahlen nehmen. Wäre dies anders, wäre es auch nicht gerechtfertigt, diese zum Gegenstand einer Zielvorgabe zu machen, deren Erreichen im Fall des Klägers immerhin 21 % seines Jahreszielgehalts ausmacht. Auch das Bundesarbeitsgericht behandelt persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion bislang gleich.

Fazit:

Die Vereinbarung einer variablen Vergütung soll den Mitarbeiter zu einer Leistungssteigerung motivieren. Dieser Vergütungsbestandteil hat damit eine erhebliche Anreizfunktion. Die Anreize können aber nur dann bestehen, wenn der Mitarbeiter auf die Erreichung der Ziele Einfluss nehmen kann. Werden ihm keine Ziele gemacht oder werden die Ziele erst so spät mitgeteilt, dass eine realistische Einflussmöglichkeit nicht mehr besteht, werden nach der Rechtsprechung die Ziele als erfüllt angesehen und müssen dann zu 100 % gezahlt werden, selbst wenn gar keine Vereinbarung erfolgt ist oder es an einer Zielvorgabe fehlt. Den Arbeitsvertragsparteien, insbesondere der Arbeitgeberseite, ist daher dringend zu empfehlen, sich mit den variablen Vergütungsansprüchen und den Anforderungen an eine wirksame Zielvereinbarung bzw. Zielvorgabe vertraut zu machen und diese rechtzeitig zu vereinbaren.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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