09.10.2024 -
Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat seine Rechtsprechung zur Ablösung einer Gesamtzusage durch eine spätere Betriebsvereinbarung fortentwickelt.
Kann eine Gesamtzusage durch eine spätere Betriebsvereinbarung abgelöst werden? (credits: adobestock)

Das Bundesarbeitsgericht hat seit vielen Jahren das Rechtsinstitut der sogenannten „betriebsvereinbarungsoffenen“ Regelung entwickelt. Danach können kollektive Zusagen, wie z.B. eine Gesamtzusage, durch eine spätere Betriebsvereinbarung auch dann abgelöst werden, wenn dies nicht ausdrücklich in der Gesamtzusage so vorgesehen war. Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat seine Rechtsprechung dazu in einer aktuellen Entscheidung fortentwickelt (Bundesarbeitsgericht v. 24.1.2024, 10 AZR 33/23). Wir möchten das Urteil zum Anlass nehmen, die wichtige Rechtsprechung hier im Zusammenhang darzustellen.

Der Fall:

Der Kläger ist bereits seit 1990 bei dem beklagten Unternehmen beschäftigt. Das Unternehmen ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Der einschlägige BMT-G II sieht ein Schriftformgebot für Nebenabreden vor.

Zunächst bis 1992 zahlte der Arbeitgeber den bei ihm beschäftigten Arbeitgebern ein Urlaubsgeld ausschließlich nach Maßgabe des Tarifvertrages. Der Tarifvertrag Urlaubsgeld sah unter § 3 folgende Regelung vor:

„Wird dem Arbeiter aufgrund örtlicher oder betrieblicher Regelung, aufgrund betrieblicher Übung, nach dem Arbeitsvertrag oder aus einem sonstigen Grunde ein Urlaubsgeld oder eine ihrer Art nach entsprechende Leistung vom Arbeitgeber oder aus Mitteln des Arbeitgebers gewährt, ist der dem Arbeiter zustehende Betrag auf das Urlaubsgeld nach diesem Tarifvertrag anzurechnen. …“

Im Anschluss erteilte der damalige Geschäftsführer zum 30.9.1992 allen Beschäftigten in einem Schreiben als Gesamtzusage mit, generell ein weitergehendes Urlaubsgeld zu zahlen, wobei der tarifliche Anspruch auf Gewährung eines Urlaubsgeldes auf die Leistungen angerechnet wird. Die Gesamtzusage enthielt die jederzeitige Widerrufsmöglichkeit und die Ankündigung, weitere Einzelheiten in Abstimmung mit dem Betriebsrat bekanntzugeben.

Seit dem Jahr 1993 wurde sodann ein übertarifliches Urlaubsgeld nach diesen Grundsätzen gewährt. Im Jahre 1999 schlossen der Betriebsrat und das Unternehmen eine Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld. Die Ansprüche wurden dann seit diesem Zeitpunkt ausschließlich nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung gewährt.

Die Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld wurde ersatzlos im Jahre 2021 gekündigt. Ein Urlaubsgeld wurde seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gezahlt und war auch in dem zwischenzeitlich dem BMT-G II ablösenden TVöD nicht mehr für die Mitarbeiter vorgesehen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch trotz der Kündigung der Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld weiterhin ein Anspruch aus fortbestehenden Zusagen, hilfsweise aus betrieblicher Übung zu.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben den Anspruch abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht ebenfalls einen Anspruch abgelehnt.

I. Kein Verstoß gegen tarifliches Schriftformgebot

Das Schriftformerfordernis des geltenden § 4 Abs. 2 S. 1 BMT-G II bezieht sich auf Nebenabreden. Bei der Zusage eines übertariflichen Urlaubsgelds an die gesamte Belegschaft handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Nebenabrede, sondern um eine Abrede, die im Zusammenhang mit den Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis steht. Diese können nach § 4 Abs. 1 BMT-G II formlos vereinbart und abgeändert werden.

II. Betriebsvereinbarungsoffene Gesamtzusage?

Bei der Zusage der Geschäftsführung handelte es sich um eine Gesamtzusage. Eine solche Gesamtzusage kann durch Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn sie betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet ist. Dazu ist es erforderlich, dass die Gesamtzusage einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt der Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung enthält. Eine solche Vereinbarung kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und kommt namentlich vor allem bei Gesamtzusagen in Betracht.

Im vorliegenden Fall fehlte es zwar an einer ausdrücklichen Regelung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit. Allerdings ergab sich aus dem Regelungsgegenstand, dem vereinbarten Widerrufsvorbehalt und auch dem ausdrücklichen Hinweis auf eine Bekanntgabe weiterer Einzelheiten nach Abstimmung mit dem Betriebsrat, dass die Zusage einer Abänderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sein sollte.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht ist insoweit sehr großzügig. Schon geringste Anhaltspunkte auf eine Widerruflichkeit oder einer Einbindung des Betriebsrats reichen aus, um eine Betriebsvereinbarungsoffenheit zu bejahen.

III. Kündigung der Betriebsvereinbarung

Die Gesamtzusage wurde also durch die spätere Betriebsvereinbarung Urlaubsgeld abgelöst. Die Gesamtzusage war damit nicht mehr existent. Maßgeblich waren allein die Regelungen aus der Betriebsvereinbarung. Die Betriebsvereinbarung wurde aber wirksam gekündigt. Mit der Kündigung und der fehlenden Nachwirkung waren dann die Ansprüche endgültig beseitigt.

Hinweis für die Praxis:

Ein Verstoß der Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG lag nicht vor. Der Tarifvertrag ließ den ergänzenden Abschluss betrieblicher Regelungen ausdrücklich zu. Ein Anspruch ergab sich auch nicht aus einer etwaigen parallelen betrieblichen Übung, da die Erklärungen des Arbeitgebers aus der Gesamtzusage eindeutig waren. Ein weitergehender Rechtsbindungswille war nicht erkennbar.

Fazit:

Rechtliche Bindungen können auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen. Das Ineinanderspiel von Tarifverträgen, Gesamtzusagen, einer betrieblichen Übung und späteren Betriebsvereinbarungen kann dabei durchaus zulässig sein und scheitert nicht schon an einer etwaigen Tarifsperre. Maßgeblich ist aber immer der individuelle Wortlaut der jeweiligen Regelungen. Betriebliche Einheitsregelungen und Gesamtzusagen können durch eine spätere Betriebsvereinbarung abgelöst werden.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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