19.09.2024 -

Nachbesetzung von Arztstellen im MVZ –Sozialgericht Berlin zu den Fristen für Viertelstellen

Das Sozialgericht Berlin hat die Fristenregelung zur Nachbesetzung von Arztstellen in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bestätigt. (credit:adobestock)

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und ihre Arztstellen

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) erbringen ihre Leistungen häufig durch angestellte Ärztinnen und Ärzte. Tendenz zunehmend. Für die Beschäftigung von angestellten Ärztinnen und Ärzten benötigen MVZ sogenannte „Arztstellen“ sowie die Genehmigung des Zulassungsausschusses. Endet die Beschäftigung einer angestellten Ärztin oder eines angestellten Arztes, hat das MVZ gemäß § 103 Abs. 4a SGB V grundsätzlich das Recht, diese freigewordene Arztstelle nachzubesetzen.

Welche Fristen gelten für die Nachbesetzung von Arztstellen im MVZ?

Die Nachbesetzung von Arztstellen in einem MVZ ist zeitlich begrenzt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), muss die Nachbesetzung einer vakanten Arztstelle grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten geschehen. Gewahrt ist die Sechs-Monats-Frist nach der Rechtsprechung des BSG, wenn der Antrag auf Nachbesetzung binnen dieser Frist dem Zulassungsausschuss in vollständiger Form zugegangen ist und auch alle materiellen Voraussetzungen erfüllt hat. Wichtig ist, dass der Antrag ernst gemeint ist und nicht nur zur Unterbrechung der Frist gestellt wird, z. B. durch die Benennung eines Arztes, der nicht zur Verfügung steht.

Wird die Sechs-Monats-Frist nicht eingehalten, verfällt das Nachbesetzungsrecht für die betreffende Arztstelle. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Zulassungsausschuss diese Frist um bis zu sechs weitere Monate verlängern, wenn ernsthafte Bemühungen zur Nachbesetzung nachweisbar sind.

Besonderheit: Längere Nachbesetzungsfrist für Viertelstellen

Mit einer Fragestellung betreffend die Nachbesetzung einer Viertelstelle hat sich das Sozialgericht Berlin in einer aktuellen Entscheidung befasst. Es bestätigt in seinem Urteil vom 19.06.2024, Az. S 87 KA 354/23 die Grundsätze, die das BSG aufgestellt hat, und interpretiert diese MVZ-freundlich.

Der Fall:

Die am Rechtsstreit Beteiligten stritten um die Genehmigung der Anstellung auf einer Viertelstelle. Geklagt hatte die Trägerin einer Fachambulanz für Nephrologie nach § 402 Abs. 2 SGB V (sog. „311er-Einrichtung“). Für diese Einrichtungen gelten die gesetzlichen Regelungen für MVZ entsprechend. Die Einrichtung nimmt im Umfang von drei Angestelltensitzen der Fachrichtung Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Die Viertelstellen der Klägerin

Eine Viertelstelle der Einrichtung war bis zum 30.4.2021 mit einem Arzt Dr. V. besetzt. Zu diesem Zeitpunkt endete das Arbeitsverhältnis. Am 22.4.2021 stellte die Einrichtung bei der Kassenärztlichen Vereinigung einen Antrag auf Vakanzvertretung durch den Arzt Dr. S. vom 1.5. bis 31.10.2021. Dieser rechnete überdurchschnittlich ab. Am 11.5.2022 zeigte die Einrichtung beim Zulassungsausschuss die Beendigung der Tätigkeit des Arztes Dr. V. an und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Erhöhung des Tätigkeitumfangs eines bei ihr bereits tätigen Arztes, Herr Dr. G., von einem Viertel auf einen halben Versorgungsauftrag zum 1.6.2022 zur Nachbesetzung der Viertestelle des Dr. V.

Ablehnung der Nachbesetzung durch Zulassungsausschuss und Berufungsausschuss

Der Zulassungsausschuss lehnte den Antrag ab, da die Nachbesetzungsfrist von 6 Monaten verstrichen sei. Den Widerspruch der Einrichtung wies der Berufungsausschuss zurück, da die Nachbesetzung von Viertelstellen nach der Rechtsprechung des BSG innerhalb eines Jahres zu erfolgen habe. Da aber auch diese Frist überschritten sei, sei die Stelle zum 30.4.2022 weggefallen.

Die Argumentation der Klägerin

Gegen diese Entscheidung wehrte sich die Einrichtung mit der Klage zum Sozialgericht. Sie argumentierte, dass hier keine derart strengen Fristen gelten. Nach der Rechtsprechung des BSG müssten kumulativ zwei Voraussetzungen für das Erlöschen des Nachbesetzungsrechts erfüllt sein. Zum einen der Ablauf eines Jahres ohne Nachbesetzungsbemühungen und zum anderen, die fehlende Aussicht, dass die Stelle nach Ablauf des Jahres zeitnah nachbesetzt werden könne. An letzterer Voraussetzung fehle es, da die Einrichtung belegt habe, dass sie die Stelle zeitnah nach Fristablauf zum 1.6.2022 nachbesetzen könne.

Die Erwägungen des Gerichts

Das Sozialgericht gab der Einrichtung recht. Diese habe einen Anspruch auf Nachbesetzung der Viertelstelle und damit auf die beantragte Erhöhung des Tätigkeitsumfanges des Arztes Herrn Dr. G.

Auch das Sozialgericht betont, dass das Nachbesetzungsrecht für die Viertelstelle nur entfallen könne, wenn die von der Einrichtung geschilderten beiden Voraussetzungen kumulativ vorlägen.

Hier sei es so gewesen, dass die Einrichtung zwar tatsächlich innerhalb der Jahresfrist keine Bemühungen zur Nachbesetzung der streitigen Viertelstelle unternommen habe. Es sei aber nach Überzeugung des Gerichts eben doch zu erwarten, dass die streitige Viertelstelle zeitnah nach Ablauf der Jahresfrist nachbesetzt werde. Die Einrichtung habe die Nachbesetzung durch Erweiterung des genehmigten Tätigkeitsumfangs des Herrn Prof. G. am 11.5.2022 mit Wirkung zum 1.6.2022 beantragt. Sie habe auch einen entsprechenden Arbeitsvertrag vorgelegt. Sie habe damit 11 Tage nach Ablauf der Jahresfrist nachgewiesen, dass sie die Stelle innerhalb eines Monats nach Fristablauf nachbesetzen werde.

Auch, so das Gericht, läge kein Fall eines „missbräuchliches Offenhalten von unbesetzten Viertelstellen“ vor, was nach der Rechtsprechung des BSG zu vermeiden sei. Denn die Einrichtung habe mit der erfolgten Vakanzvertretung gezeigt, dass das nicht der Fall gewesen sei.

Fazit und Praxishinweis:

Die Entscheidung des SG Berlin deckt sich mit der Rechtsprechung des BSG und wendet diese konsequent an, inklusive einiger toleranten Erwägungen. Ob das Urteil schon rechtskräftig ist, ist aktuell nicht bekannt. Klar sollte für MVZ-Betreiber oder eben Betreiber von „311er Einrichtungen“ aber sein: Auf der wirklich sicheren Seite ist man, wenn die Nachbesetzung einer vakanten Viertelstelle innerhalb der Jahresfrist erfolgt. Denn zum einen zeigt der Rechtsstreit und der Umstand, dass der Betreiber der Einrichtung erst das Gericht anrufen musste, dass die Zulassungsgremien eine flexiblere Lösung zugunsten von MVZ auch ablehnen könnten. Zum anderen ist das Kriterium, der „zeitnahe Nachbesetzung nach Ablauf des Jahres“ natürlich einigermaßen unbestimmt. Im hier entschiedenen Fall waren es 11 Tage. Was aber im Einzelnen „zeitnah“ ist, kann immer streitig werden.

Autor: Wolf Constantin Bartha

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