04.09.2024
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bestätigt, wonach die Teilnahme an Schulungen, auch Spezialschulungen, regelmäßig erforderlich ist, mit der Folge, dass der Arbeitgeber sämtliche Kosten zu tragen hat.
Für die Erforderlichkeit einer Spezialschulung bedarf es eines konkreten Anlasses im Betrieb. Wann ist ein solcher konkreter Anlass gegeben? (credits: adobestock).

Zwischen den Betriebspartnern kommt es immer wieder zu Streit über die Frage, ob der Betriebsrat oder einzelne seiner Mitglieder berechtigt sind, an mehrtägigen und auswärtigen Seminarveranstaltungen teilzunehmen. Zusätzlich zu den Schulungsgebühren fallen dann regelmäßig noch Reise- und Übernachtungskosten an. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bestätigt, wonach die Teilnahme an Schulungen, auch Spezialschulungen, regelmäßig erforderlich ist, mit der Folge, dass der Arbeitgeber sämtliche Kosten zu tragen hat (Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss v. 30.10.2023, 16 TaBVGa 173/23). Wir möchten diese wichtige Entscheidung zum Anlass nehmen, auf die wesentlichen Grundsätze nochmals für die Praxis hinzuweisen:

Der Fall:

Der antragstellende Betriebsrat ist bei dem beteiligten Arbeitgeber, einem Textileinzelhandelsunternehmen, gebildet. Weitere Antragsteller sind zwei Mitglieder des Betriebsrats.

Der Betriebsrat hat beschlossen, die beiden Mitglieder zu einer Schulung zum Thema „Handlungsfehler und Beteiligungsrechte für die betriebliche Interessenvertretung angesichts von Digitalisierung und der Entwicklung des stationären Einzelhandels“ im Zeitraum vom 1.11. bis zum 3.11.2023 in A. anzumelden und zu entsenden.

Der Arbeitgeber hat die Teilnahme und die Kostenübernahme abgelehnt. Er rügt, eine Freistellung sei hier erforderlich. Für eine Kostenfreistellung fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Teilnahme sei auch nicht erforderlich, da die in der Seminarbeschreibung genannten Technologien bereits seit Jahren im Betrieb angewendet und durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt seien. Jedenfalls könnten nicht zwei Betriebsratsmitglieder an der Schulung teilnehmen. Auch die Dauer und die Kosten der Schulungsveranstaltung seien unverhältnismäßig. Die beiden Referenten seien als Industriesoziologe und Arbeitssoziologe nicht für die streitgegenständliche Schulungsveranstaltung qualifiziert. Zudem handele es sich bei dem Schulungsveranstalter um eine gewerkschaftsnahe Einrichtung. Schließlich sei die Angelegenheit nicht eilbedürftig, denn man könne die Frage auch zunächst in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären und ein Spezialseminar müsse nicht zeitnah stattfinden.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats, gerichtet auf Kostenübernahme und Teilnahme an der Schulungsveranstaltung, stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Eilbedürftigkeit

Das LAG hat zunächst die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ohne Weiteres bejaht. Die Schulungsveranstaltung stünde unmittelbar bevor. Ein ordentliches Hauptsacheverfahren käme in seiner Entscheidung zu spät und würde dann einen berechtigten Anspruch vereiteln.

Hinweis für die Praxis:

Im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens kommt es nicht nur darauf an, einen Anspruch darzulegen, sondern auch auf die sogenannte Eilbedürftigkeit. Nur wenn die Sache so dringend ist, dass sie keinen Aufschub benötigt und man anderenfalls einen Rechtsverlust hätte, kann überhaupt eine einstweilige Verfügung erlassen werden. Dabei kann der Betriebsrat nicht darauf verwiesen werden, eine spätere Schulung in Anspruch nehmen zu können.

II. Schulungsanspruch besteht!

Bei dem Seminar handelt es sich um eine sogenannte Vertiefungsschulung oder ein Spezialseminar. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Grundseminaren und Spezialseminaren. Die üblichen Grundseminare sind immer erforderlich. Hierüber sollte man ohnehin nicht streiten. Bei einer Spezialschulung bedarf es hingegen eines konkreten Anlasses im jeweiligen Betrieb.

Diesen konkreten Anlass hat das LAG hier bejaht. Die Technik, mit der sich die Betriebsratsschulung befasst, ist zum Teil bereits in den streitgegenständlichen Betrieb eingeführt. Es betrifft z.B. die Einführung des elektronischen Kassensystems. Auch auf den Verkaufsflächen wird bereits mit Tablets gearbeitet. Die Einführung von Selbstbedienungskassen steht bevor.

Hinzu kommt, dass sich die Schulung mit weiteren angekündigten Neuerungen im Einzelhandel befasst. Diese neuen Technologien werden im Einzelnen im Seminar behandelt und die einschlägigen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz werden aufgeführt. Diese sind damit gleichfalls Schulungsinhalt. Diese Inhalte sind erforderliches Wissen für die Betriebsratsarbeit. Der Betriebsrat muss wissen, welche Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien betroffen sind.

Hinweis für die Praxis:

Die Tatsache, dass im Unternehmen bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, steht einer Teilnahme der örtlichen Betriebsratsmitglieder an der Schulung nicht entgegen. Gerade der örtliche Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, ob die Gesamtbetriebsvereinbarungen ordnungsgemäß vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Dies erfordert einen entsprechenden Kenntnisstand der örtlichen Betriebsräte.

III. Qualifikation der Referenten?

Soweit der Arbeitgeber die Qualifikation der Referenten der Schulungsveranstaltung bestritten hat, ist dies nach Auffassung des LAG nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Zwar sind die Referenten als Soziologen keine Volljuristen. Dies ist aber auch nicht erforderlich. Für Schulungsveranstaltungen für Betriebsräte ist die Befähigung zum Richteramt nicht erforderlich und insbesondere nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es reicht aus, wenn der Schulungsveranstalter die von ihm eingesetzten Referenten für diese Aufgaben als hinreichend qualifiziert ansieht. Weitergehende Nachforschungen hinsichtlich der Qualifikation der Referenten sind dem Betriebsrat nicht möglich. Der Betriebsrat darf sich darauf verlassen, dass ein Schulungsveranstalter für die Abhaltung seiner Veranstaltung qualifizierte Referenten einteilt.

Fazit:

Die Teilnahme an der Spezialschulung war damit erforderlich. Der Arbeitgeber musste die beiden Betriebsratsmitglieder von sämtlichen Kosten freistellen. Eine Spezialschulung ist immer dann erforderlich, wenn die Themen der Spezialschulung im Betrieb eine Rolle spielen. Dies hängt von den konkreten Bedürfnissen des einzelnen Betriebes ab und kann daher nicht generell für alle Spezialschulungen beantwortet werden. Kann aber der Betriebsrat darlegen, dass das Thema im Betrieb eine Rolle spielt, sind regelmäßig zwei Betriebsratsmitglieder berechtigt, an der Schulung teilzunehmen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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