26.06.2024 -
Arbeitnehmer genießen keinen Schutz, wenn sie sich in privaten Chatgruppen beleidigend und menschenverachtend über Betriebsangehörige äußern.
Genießen Arbeitnehmer Schutz, wenn sie sich in privaten Chatgruppen beleidigend und menschenverachtend über Betriebsangehörige äußern? (credits: adobestock)

Wir haben uns bereits mit Fragen der Beweisverwertung in einem Kündigungsschutzprozess trotz Verstoßes gegen eine entgegenstehende Betriebsvereinbarung befasst. Das Bundesarbeitsgericht hat nun ebenfalls eine sehr wichtige Entscheidung veröffentlicht (BAG v. 24.8.2023 – 2 AZR 17/23). Das BAG bleibt auf seiner klaren Linie und führt die bislang ergangene Rechtsprechung konsequent fort: Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbote bestehen im arbeitsgerichtlichen Prozess grundsätzlich nicht! Wir möchten die wichtige Entscheidung hier besprechen.

Der Fall:

Das Unternehmen beschäftigt ca. 2.100 Mitarbeiter. Der Gruppenleiter Lagerlogistik ist bereits seit 1999 in dem Unternehmen beschäftigt. Im Zuge einer Restrukturierung schloss er mit dem Arbeitgeber im Mai 2021 einen Aufhebungsvertrag, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2021 und die Zahlung einer Abfindung vorsah.

Der Gruppenleiter war seit 2014 mit fünf anderen Arbeitnehmern Mitglied einer Chatgruppe des Messengerdienstes WhatsApp. Von November 2020 bis Januar 2021 gehörte der Gruppe ein ehemaliger Arbeitskollege an. Die Gruppenmitglieder waren langjährig befreundet, zwei miteinander verwandt.

Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger in einigen seiner Chatbeiträge – wie auch verschiedene andere Gruppenmitglieder – in beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte sowie Kollegen und rief teilweise zu Gewalt gegen diese auf.

Das nur vorübergehend der Chatgruppe angehörende Mitglied zeigte im Rahmen eines Gesprächs über einen Arbeitsplatzkonflikt einem Mitarbeiter des Unternehmens den Chatverlauf auf seinem Smartphone, der davon eine Kopie an sich weiterleitete. Von dem Chatverlauf erlangten in der Folgezeit der Betriebsratsvorsitzende sowie die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen Kenntnis. Der Personalleiter wurde informiert und erhielt einen 316-seitiges Worddokument mit dem Inhalt des Chatverlaufs für die Zeit vom 19.11.2020 bis 17.1.2021. Das ausgeschiedene Chatgruppenmitglied bestätigte die Richtigkeit des Chatverlaufs.

In der Folge wurde der Kläger fristlos mit Schreiben vom 28.7.2021, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31.3.2022 gekündigt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Unternehmens zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an das LAG zur weiteren Verhandlung und Aufklärung zurückverwiesen.

I. Kein Sachvortragsverwertungsverbot

Das BAG hat ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot abgelehnt. Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen. Ein Verwertungsverbot kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Dies kann bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person der Fall sein.

Im vorliegenden Fall handelte es sich zwar um eine private Chatgruppe. Der Inhalt des Chatverlaufs betrifft aber nicht den unantastbaren Intimbereich des betroffenen Mitarbeiters, sondern allenfalls seinen Privatbereich. Bei Äußerungen in einer aus sieben Personen bestehenden Chatgruppe hat auch der betroffene Mitarbeiter nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts offenkundig selbst nur einen begrenzten subjektiven Willen zur Geheimhaltung. Die Chatbeiträge betrafen nach ihrem Inhalt keinen ihn selbst betreffenden höchstpersönlichen Charakter, sondern zielten auf die Herabwürdigung, Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab. Damit berührte er nicht nur die Sphäre dieser betroffenen Mitarbeiter, sondern durch die in ihm enthaltenen Gewaltaufrufe sogar auch Belange der Gemeinschaft.

Hinweis für die Praxis:

Die Aufrufe zur Gewalt und die Beleidigungen betreffen die Privatsphäre des Klägers nur in geringem Maße, zumal er sich selbst damit an eine Mehrzahl von Personen gewandt hat. In solchen Fällen kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht.

II. Äußerungen als fristloser Kündigungsgrund?

Die beiden Vorinstanzen hatten einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung im vorliegenden Fall abgelehnt. Dem hat sich das BAG nicht angeschlossen. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen erhebliche Pflichtverletzungen dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können. Das Bundesarbeitsgericht konnte aber nicht selbst entscheiden, da die Vorinstanzen den Sachverhalt nicht abschließend aufgeklärt hatten. Der Rechtsstreit wurde daher nochmals an das LAG zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen.

Fazit:

Arbeitnehmer genießen keinen Schutz, wenn sie sich in privaten Chatgruppen beleidigend und menschenverachtend über Betriebsangehörige äußern. Eine berechtigte Erwartung, diese Äußerungen bleiben privat und führen nicht zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen, besteht nicht. Es besteht auch kein Verwertungsverbot, wenn solche Äußerungen bekannt werden. Im Gegenteil: Die Arbeitsgerichte nutzen dann diese Erkenntnisse im Prozess und ein Beweisverwertungsverbot kommt nur bei besonders intimen Äußerungen in Betracht, die sich dann auf die betroffene Person selbst beziehen müssen. Beleidigende Äußerungen über Dritte sind nicht geschützt.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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