Aufgrund der äußerst gespannten Finanzsituation prüfen immer mehr öffentliche Arbeitgeber die Möglichkeiten betriebsbedingter Kündigungen. Nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ist allerdings die Kündigungsfreiheit erheblich beschränkt. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer für die Praxis bedeutsamen Entscheidung die Anforderungen, die an die betriebsbedingte Kündigung eines unkündbaren Angestellten zu stellen sind, präzisiert und weiter eingeschränkt (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 27. Juni 2002 – 2 AZR 367/01 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Sachverhalt:
Der 48 Jahre alte Arbeitnehmer war seit 1980 als Lehrkraft für das Fach Trompete bei dem von der beklagten Stadt und einer weiteren Gemeinde gegründeten Zweckverband „Musikschule“ beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag haben die Parteien die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart.
In den Jahren 1993 bis 1999 erwirtschaftete der Zweckverband jährlich ein Defizit zwischen 230.000,00 € und 300.000,00 €. Diese Defizite wurden jeweils durch die beiden Träger des Zweckverbandes ausgeglichen. Auch die Schülerzahlen gingen von 798 im Jahr 1990 auf 488 im Jahr 2000 zurück. Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung wurden keine nennenswerten Möglichkeiten zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit festgestellt. Verhandlungen mit einem privaten Anbieter, der sich bereit erklärte, die Musikschule zu übernehmen, scheiterten. Unter anderem war auch der Kläger nicht bereit, sich mit einer Verringerung seiner vertraglichen Unterrichtsstunden und einem zusätzlichen Abschlag auf seine Vergütung einverstanden zu erklären.
Es wurde deshalb beschlossen, die Musikschule zum 31. Juli 2000 zu schließen. Dem Kläger wurde deshalb im März 2000 außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. September 2000 gekündigt.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam, da eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bereits nach § 55 BAT ausgeschlossen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
Die Revision des Arbeitgebers wurde ebenfalls zurückgewiesen.
I. Tarifliche Unkündbarkeit
Ein Angestellter des öffentlichen Dienstes, auf dessen Arbeitsverhältnis der Bundesangestelltentarifvertrag Anwendung findet, wird nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, unkündbar (vgl. § 53 Abs. 3 BAT).
Nach § 55 Abs. 1 BAT kann dem ordentlich unkündbaren Angestellten nur noch aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen Gründen fristlos gekündigt werden. Demgegenüber berechtigten andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, nicht zur außerordentlichen Kündigung.
Aber: In diesen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedoch, wenn eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweisbar nicht möglich ist, zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen.
Vom Grundsatz her scheiden deshalb betriebsbedingte Kündigungen eines ordentlich unkündbaren BAT-Angestellten von vornherein aus.
II. Fristlose Kündigung ausnahmsweise zulässig!
Die Vorschrift des § 55 BAT schränkt damit seinem Wortlaut nach die Regelung des § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein. Danach kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Vertragsverhältnis fristlos gekündigt werden. Dabei entspricht es der ganz herrschenden Meinung, dass § 626 BGB nicht eingeschränkt werden darf. Dies gilt deshalb nach der Rechtsprechung des BAG auch für den BAT. Eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen muss auch im Rahmen des § 55 BAT unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zulässig sein.
Jedoch: Das BAG hat in der vorliegenden Entscheidung nochmals ausdrücklich klargestellt, dass die Anforderungen an die Wirksamkeit einer betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung eines nach § 55 BAT unkündbaren Angestellten des öffentlichen Dienstes ganz erheblich sind.
Grundsätzlich rechtfertigen nämlich nach dem Willen der Tarifparteien betriebsbedingte Gründe keine außerordentliche Kündigung. Das Betriebsrisiko hat der Arbeitgeber zu tragen. Ausnahmen hat die Rechtsprechung im Wesentlichen nur dann zugelassen, wenn sonst ein sinnloses und inhaltsleeres Arbeitsverhältnis, ggf. bis zur Pensionierung des Arbeitnehmers, aufrecht erhalten werden müsste.
Dabei darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass § 55 BAT die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung vom Grundsatz her ausschließen möchte, was die Intensität der Bindung einem Beamtenverhältnis annähert.
III. Alle denkbaren Alternativen prüfen!
Das BAG hat die hohen Anforderungen hier noch nicht als erfüllt angesehen. Trotz der wirtschaftlich unumgänglichen Entscheidung, die Musikschule zu schließen, hätte es nach Auffassung des BAG für den beklagten Arbeitgeber Alternativen gegeben.
Das BAG hielt der Musikschule bspw. entgegen, dass sie die Verhandlungen mit dem privaten Interessenten über die Übernahme zu früh abgebrochen hat. Dabei gab es auch keinen Anspruch gegenüber dem Lehrer, dass sich dieser durch einen Gehaltsverzicht an der Übernahme finanziell beteiligt. Auch hätten in der eigenen Gemeindeverwaltung andere zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geprüft werden müssen. Zudem wäre ggf. eine Umschulung in Betracht gekommen.
Fazit:
Die Kündigung war damit nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts aus verschiedenen, voneinander unabhängigen Gründen unzulässig. Die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines tariflichen unkündbaren Angestellten kommt nur ganz ausnahmsweise und auch dann nur in Extremfällen in Betracht. Eine angespannte Finanzsituation reicht für die Kündigung keinesfalls aus.
Die Möglichkeit, einem Angestellten unter der Geltung des BAT nach 15-jähriger Betriebszugehörigkeit noch betriebsbedingt kündigen zu können, sind damit nahezu aussichtslos. Arbeitgeber, die den BAT anwenden, werden faktisch verpflichtet, unkündbare Angestellte bis zur Rente weiterzubeschäftigen.
Leitsatz der Entscheidung:
Es sind Extremfälle denkbar, in denen auch einem nach § 55 BAT tariflich unkündbaren Angestellten des öffentlichen Dienstes nach § 626 BGB unter Gewährung einer notwendigen Auslauffrist außerordentlich betriebsbedingt gekündigt werden kann.
Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen
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