In vielen Betrieben wird ein erheblicher Teil des Schriftverkehrs per E-Mail abgewickelt. Im Interesse des Schutzes der umfangreichen Datenbestände vor elektronischen Viren gehen deshalb immer mehr Arbeitgeber dazu über, den Empfang oder die Versendung privater E-Mails zu untersagen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es immer wieder zu (auch bewussten) Verstößen gegen solche Verbote im modernen Arbeitsleben kommt. Wir möchten ein aktuelles Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts zum Anlass nehmen, die Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers nachfolgend darzustellen (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urt. v. 13. 12. 2001 – 5 Sa 987/01 -, DB 2002, S. 901).
Der Fall:
Die Arbeitnehmerin war als Rezeptionistin in einer großen Anwaltskanzlei beschäftigt. Diese große Anwaltsfirma arbeitete weltweit mit mehr als 4.500 Mitarbeitern an 22 Standorten. Diese Standorte waren untereinander vernetzt ebenso wie die etwa 100 Mitarbeiter der örtlichen Niederlassung.
Ein erheblicher Teil des Schriftverkehrs – auch mit den namhaften Mandanten – wird per E-Mail abgewickelt. Im Interesse des Schutzes der umfangreichen, auch die Mandanten betreffenden Datenbestände vor elektronischen Vieren ist es betrieblich untersagt, private E-Mail zu empfangen, zu öffnen oder zu versenden.
Die Arbeitnehmerin erhielt per E-Mail einen privaten Kettenbrief von Ihrer Tante, den sie sowohl über das Intranet im Betrieb der Beklagten an ihre Sekretariatskolleginnen als auch darüber hinaus an eine Anzahl von Adressaten außerhalb des Datennetzes der Beklagten weitersandte. Ihr wurde daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Die Entscheidung:
Die Kündigungsschutzklage hatte in beiden Instanz Erfolg.
I. Verbot privaten E-Mailverkehrs zulässig
Eine Berechtigung der Arbeitnehmer, private E-Mails zu versenden und/oder zu empfangen, ist grundsätzlich nicht anzuerkennen. Es gibt weder einen gesetzlichen noch einen allgemeinen Grundsatz aus dem sich eine solche Berechtigung ableiten ließe. Der Zweck des Arbeitsverhältnisses, der Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgelt, beinhaltet das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seines Direktionsrechts über die Arbeitszeit zu bestimmen.
Will also der Arbeitnehmer private E-Mails versenden/empfangen, bedarf er grundsätzlich der Zustimmung zur Nutzungsberechtigung. Eine solche Erlaubnis kann auf mehrere rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden.
Ausdrückliche Vereinbarung
Zunächst ist an eine einzelvertragliche Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zu denken. Die Arbeitsvertragsparteien können bspw. konkrete Vereinbarungen über den Umgang mit E-Mails festlegen.
Betriebliche Übung
Wird über einen längeren Zeitraum im gesamten Betrieb der Versand/Empfang von privaten E-Mails geduldet, kann es zu einer betrieblichen Übung kommen. Diese entsteht bekanntlich immer dann, wenn aus einer regelmäßigen Wiederholung eines bestimmten Verhaltens des Arbeitgebers geschlossen werden kann, dass den Arbeitnehmern eine bestimmte Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden soll. Durch die tatsächliche Handhabung stellt der Arbeitgeber damit eine Regel auf.
Anders verhält es sich nur dann, wenn der Arbeitgeber die Vergünstigung ausdrücklich unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt hat. Denn dann muss der Arbeitnehmer stets mit einer Änderung rechnen und kann sich deshalb nicht auf einen etwaigen Vertrauenstatbestand berufen.
Ist eine betriebliche Übung einmal entstanden, ist eine einseitige Änderung ohne Weiteres nicht mehr möglich. Vielmehr muss sich der Arbeitgeber dann mit dem einzelnen Arbeitnehmer einigen, eine Änderungskündigung aussprechen oder die betriebliche Übung durch eine weitere kollektive Regelung ablösen, z.B. mit einer umstrukturierenden Betriebsvereinbarung.
Betriebsvereinbarung
Die Betriebsvereinbarung stellt damit eine weitere Möglichkeit dar, das Problem privaten E-Mailverkehr (wie auch z.B. Privattelefonate) im Betrieb insgesamt rechtlich zu regeln.
II. Verstoß gegen betriebliches Verbot: Rechtsfolgen?
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat dem Arbeitgeber trotz des betrieblichen Verbotes auf das mildere Mittel der Abmahnung verwiesen. Nach dem LAG muss vom Arbeitgeber verlangt werden, dass er die Bedeutung und Ernsthaftigkeit des betreffenden Verbotes unmissverständlich hervorhebt. Der Arbeitgeber ist damit gehalten, seinen Arbeitnehmern unmissverständlich deutlich zu machen, dass ein bestimmtes Verhalten unter keinen Umständen hingenommen wird. Nur bei einer entsprechend deutlichen Warnung kann eine vorangehende Abmahnung im Einzelfall entbehrlich sein.
Die Kammer weist im Übrigen auf die zunehmende Regelungsdichte, die das moderne Arbeitsleben kennzeichnet, hin. Gerade wegen der zahlreichen einzuhaltenden Pflichten werden bestimmte Regelungen oft in ihrer Zielrichtung auf Gefahrvermeidung nicht mehr erkannt bzw. ernstgenommen.
Die verhaltensbedingte Kündigung scheiterte damit an der fehlenden vorangehenden Abmahnung.
Hinweis für die Praxis:
Die Entscheidung macht deutlich, dass eine außerordentliche Kündigung nur in krassen Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Vorrangig ist eine Abmahnung auszusprechen. Führt der Arbeitnehmer aber trotz bereits erfolgter Abmahnung sein Fehlverhalten während der Arbeitszeit fort, so liefert er damit einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund.
Die Entscheidung ist auf andere Verstöße im übertragbar, bspw. bei unzulässigen Privattelefonaten oder privater Nutzung des Internets. (Hinweis auf Besgen, Privattelefonate des Arbeitnehmers (Privatnutzung von Kommunikationseinrichtungen des Arbeitgebers) b+p (betrieb + personal) 2000, S. 112 ff.; siehe auch Besgen Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung von Internet und E-Mail, b+p 2001, S. 360 ff; vgl. zur Kündigung wegen privater Telefonate LAG Nürnberg, Urt. v. 6. 8. 2002 – 6 (5) Sa 472/01 -, NZA-RR 2003, S. 191 – Revision beim BAG unter Az.: 2 AZR 692/02 anhängig mit weiteren Nachweisen).
Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen
Auszeichnungen
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