Von RA Wolf Constantin Bartha, Fachanwalt für Medizinrecht, Rechtsanwälte MEYER-KÖRING, Schumannstraße 18, 10117 Berlin, Tel.: 030 / 206298-6, Fax 030 / 206298-89, www.meyer-koering.de E-Mail: bartha@meyer-koering.de
Der ärztliche Notfalldienst ist wenig beliebt. Er stört Nacht- und Wochenendfrieden und wird von vielen Praxen gerne vermieden. In nahezu ungezählten Fällen haben (Vertrags)ärzte bereits versucht, sich aus der Verpflichtung zur Teilnahme am Notfalldienst herauszuklagen – fast immer vergeblich. Nicht selten ist man daher froh, wenn sich ein Kollege findet, der den Notfalldienst vertretungsweise übernimmt. Dass man hier durchaus Vorsicht walten lassen sollte, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 10.03.2009, Az. VI ZR 39/08). Danach könnte grundsätzlich auch eine Praxis, die den Notdienst gar nicht selbst durchgeführt, sondern sich von einem anderen Arzt hat vertreten lassen, für fehlerhafte Behandlungen im Notdienst haften.
Der Fall: Sonntagmorgens gegen 03:15 Uhr rief eine Frau in der Gemeinschaftspraxis zweier Ärzte an. Die Praxis war zum Notdienst eingeteilt. Die Frau, die wegen starker Schmerzen ihres Ehemannes anrief, erreichte nur den Anrufbeantworter. Dieser verwies auf einen anderen Arzt, der für die Beklagten den Notfalldienst vertretungsweise übernommen hatte. Dieser suchte den Patienten gegen kurz vor 04:00 Uhr zu Hause auf. Er diagnostizierte eine Gastroenteritis, verordnete Buscopan und verabreichte 2 ml MCP. Das Formular für das Rezept und der „Notfall-/Vertretungsschein“ wiesen den Praxisstempel der Gemeinschaftspraxis auf. Der Arzt, der den Notdienst durchgeführt hatte, übermittelte die Unterlagen für die vorgenommene Behandlung an die Gemeinschaftspraxis, die diese Leistungen bei der KV als Praxisleistungen abrechnete. Der Arzt, der die Vertretung im Notdienst übernommen hatte, erhielt von der Gemeinschaftspraxis ein Honorar.
Der im Notdienst versorgte Patient erlitt am Nachmittag des nächsten Tages einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er wenige Monate später verstarb.
Die Ehefrau und die Tochter des Verstorbenen erhoben Klage gegen alle drei Ärzte. In medizinischer Hinsicht machten sie geltend, der Arzt im Notdienst habe aufgrund unzureichender Anamnese und Untersuchung die Anzeichen für den Herzinfarkt verkannt. Hierfür müssten aber auch die beiden anderen Ärzte der Gemeinschaftspraxis einstehen, weil sie den Notfallarzt mit der Vertretung beauftragt hätten. Im Rechtssinne sei er also Erfüllungs- oder Verrichtungshilfe der Gemeinschaftspraxis gewesen, weshalb auch diese hafte.
Das zunächst mit der Sache beschäftigte Landgericht gab den Klägerinnen Recht. Sie hätten gegen alle drei Ärzte einen Anspruch auf Schmerzensgeld, Erstattung der Begräbniskosten und Feststellung der Ersatzpflicht von gegenwärtigen und künftigen Unterhaltsschäden. Weil sie das Schmerzensgeld für zu gering hielten, gingen Mutter und Tochter in Berufung, die Ärzte ebenfalls, um sich gegen die Inanspruchnahme zu wehren. Das nun zuständige Oberlandesgericht Köln hatte im Rahmen eines so genannten Teilurteils entschieden, dass jedenfalls die Ärzte der Gemeinschaftspraxis nicht für eine Haftung in Betracht kämen und die Klage gegen sie abgewiesen. Diese Entscheidung war für die Hinterbliebenen äußerst problematisch, hatte sich doch herausgestellt, dass der Arzt, der die Notdienstbehandlung durchgeführt hatte, selbst keine, bzw. eine nur unzureichende Haftpflichtversicherung unterhalten hatte! Mit Ihrer Revision zum BGH rügten die Klägerinnen die Entlassung der Gemeinschaftspraxis aus der Haftung. Der BGH stärkte die Rechte der beiden Klägerinnen. Nach der Entscheidung des BGH kann eine Haftung der Gemeinschaftspraxis durchaus in Betracht kommen. Das Oberlandesgericht muss sich nun noch einmal mit der Sache befassen.
Welche Grundsätze gelten nach Auffassung des BGH? Entscheidend ist hier der Begriff des „Verrichtungsgehilfen“. Der „Verrichtungsgehilfe“ ist eine (Rechts)figur aus dem Deliktsrecht. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es dazu in § 831:
„Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person (…) die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde“.
Eine typisch juristische Formulierung? Vielleicht. Vieles ist aber dennoch klar: Lässt man andere eine Tätigkeit durchführen, die man eigentlich selber durchführen müsste, kann man dafür durchaus haften. Hat man aber keinen Fehler bei der Auswahl dieser Person gemacht, kann man sich der Haftung entziehen.
Entscheidend war für den BGH die Definition des „Verrichtungsgehilfen“. Über dessen Einschaltung könne die Haftung auch auf die „auftraggebende“ Gemeinschaftspraxis durchschlagen. Ein Verrichtungsgehilfe im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches könne jeder sein, der entgeltliche oder unentgeltliche Tätigkeit in Abhängigkeit von einem anderen leiste. Der genaue Inhalt der Tätigkeit, sei nicht von Bedeutung, insbesondere müsse der Verrichtungsgehilfe nicht als rechtgeschäftlicher Vertreter auftreten.
Soweit so abstrakt. Konkreter definierte der BGH sodann: Ein Verrichtungsgehilfe könne auch jemand sein, der auf Grund eigener Sachkunde und Erfahrung zu handeln habe, aber in gewisser Abhängigkeit zu demjenigen stünde, der den Auftrag erteilt habe. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn der sog. „Geschäftsherr“ dem Gehilfen die Arbeit entziehen bzw. diese beschränken sowie Zeit und Umfang der Tätigkeit bestimmen könne. So könne auch ein an sich Selbständiger zum Verrichtungsgehilfen werden, möglicherweise auch der vertretende Notfallarzt. Mit diesem Aspekt hatte sich das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht beschäftigt, was der BGH entsprechend rügte.
Was bedeutet das für die betroffenen Ärzte der Gemeinschaftspraxis? Zu einer unmittelbaren Haftung kommt der BGH nicht. Zu viele Fragen waren hier vom Gericht der zweiten Instanz offen gelassen worden. Insofern muss nun das zuvor mit der Sache befasste Oberlandesgericht diese Fragen klären, bei seiner Entscheidung aber die Wertungen des BGH berücksichtigen.
Eine Hoffnung für die betroffenen Ärzte der Gemeinschaftspraxis könnte noch darin liegen, dass diese den Notdienst ja gar nicht selbst organisiert hatten, sondern dies Sache der KV gewesen ist. Einen persönlichen Kontakt zwischen dem Notfallarzt und der Gemeinschaftspraxis hätte es gar nicht gegeben, so die Ärzte der Gemeinschaftspraxis. Mit diesem Vortrag wird sich also das Oberlandesgericht in der „zweiten Runde“ zu beschäftigen haben. Erinnert man sich an die gesetzlichen Regelungen zum Verrichtungsgehilfen, fällt ferner auf, dass es für die Ärzte der Gemeinschaftspraxis noch die Möglichkeit der „Exkulpation“ geben kann, sollte der Notfallarzt tatsächlich als Verrichtungsgehilfe qualifiziert werden. Allerdings: Wie exkulpiert man sich, wenn man einen Vertreter hat tätig werden lassen, der nicht oder nicht ausreichend haftpflichtversichert ist?
Wäre die Sache also nicht verjährt und könnten die Ärzte der Gemeinschaftspraxis nicht nachweisen, dass sie sich als „Geschäftsherren“ entlasten können, würden sie für die Forderungen der Hinterbliebenen haften.
Konsequenz der Entscheidung: Auch wenn die KV den Notfalldienst organisiert und man die Möglichkeit hat, sich hier vertreten zu lassen, sollten die Auswahl des Vertreters und die Organisation der Vertretung sorgfältig erfolgen. Dazu gehört im Übrigen auch zwingend der Nachweis der ausreichenden Haftpflichtversicherung.
Auszeichnungen
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Top-Kanzlei für Medizinrecht (Behandlerseite)(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
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TOP-Wirtschaftskanzlei Deutschlands im Bereich Gesundheit & Pharmazie(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021 - 2013)
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Top-Anwalt (Wolf Constantin Bartha) für Medizinrecht(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
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„Eine der besten Wirtschaftskanzleien für Gesundheit und Pharmazie„(brand eins Ausgabe 23/2022, 20/2021, 16/2020)
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