Der Betriebsrat muss bei Einstellungen nach § 99 BetrVG beteiligt werden. Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf die Einstellung nicht vollzogen werden. Dem Betriebsrat stehen dazu die Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG zur Seite. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers den Arbeitgeber dennoch die in § 81 SGB IX normierte Prüf- und Konsultationspflicht trifft und bei Verstößen dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht zusteht (BAG, 23.06.2010 – 7 ABR 3/09).
Der Fall (verkürzt):
Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung eines Leiharbeitnehmers.
Die Arbeitgeberin und Antragstellerin betreibt einen Zeitungsverlag und eine Druckerei. Für die Druckerei hat sie die Stelle eines Leiters der mechanischen Werkstatt in einem internen Stellenmarkt ausgeschrieben. Aus der Belegschaft hatte sich niemand um die Stelle beworben. Die Arbeitgeberin unterrichtete daraufhin den Betriebsrat über die beabsichtigte unbefristete Einstellung eines Leiharbeitnehmers als Leiter der mechanischen Werkstatt.
Der Betriebsrat widersprach der Einstellung. Er machte u.a. geltend, die Einstellung des Leiharbeitnehmers verstoße gegen § 81 Abs. 1 SGB IX, da die Arbeitgeberin nicht geprüft habe, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden könne.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin, die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren verfolgt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Zustimmungsersetzungsantrages. Das Bundesarbeitsgericht hat dem Betriebsrat Recht gegeben.
I. Pflichten aus § 81 SGB IX als Zustimmungsverweigerungsgrund
Der Betriebsrat kann nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung zu einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme verweigern, wenn diese gegen ein Gesetz verstoßen würde. Nach ständiger Rechtsprechung gilt dies nur, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz, einen Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt. Dazu muss es sich nicht um ein Verbotsgesetz im technischen Sinne handeln, das unmittelbar die Unwirksamkeit der Maßnahme herbeiführen muss. Es muss aber hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Zweck der betreffenden Norm darin besteht, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern.
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX begründet bei Einstellungen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats. Zweck der Prüfungspflicht ist es, die Einstellung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu fördern. Diese Prüfungspflicht wird konkretisiert durch die in § 81 Abs. 1 S. 2 SGB IX normierte Verpflichtung des Arbeitgebers, frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Dadurch wird der Agentur für Arbeit die Möglichkeit eröffnet, dem Arbeitgeber geeignete schwerbehinderte Menschen vorzuschlagen.
Die Einstellung des nichtschwerbehinderten Menschen verstößt in diesem Fall gegen ein Gesetz im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Der nach § 81 SGB IX verfolgte Zweck kann nur dadurch erreicht werden, dass die endgültige Einstellung des nichtschwerbehinderten Menschen jedenfalls zunächst unterbleibt. Durch die Einstellung eines nichtschwerbehinderten Menschen verwirklichen sich für die Gruppe der schwerbehinderten Menschen typischerweise die mit ihrer Schwerbehinderung verbundenen erhöhten Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche. Gerade dies soll durch die in § 81 normierte Prüf- und Konsultationspflicht gemindert werden.
Hinweis für die Praxis:
Die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit ist geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 1 AGG wegen der Schwerbehinderung zu begründen. Zudem wird dem Arbeitsmarkt durch die Einstellung des nichtschwerbehinderten Menschen ein zur Verfügung stehender Arbeitsplatz zu Lasten der Gruppe der schwerbehinderten Menschen „entzogen“.
II. Dies gilt auch bei Leiharbeitnehmern
Die vorgenannten Grundsätze gelten nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch dann, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, einen freien Arbeitsplatz nicht mit einem eigenen Vertragsarbeitnehmer, sondern mit einem Leiharbeitnehmer zu besetzen. Auch in diesem Fall besteht die Prüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Voraussetzung für die Prüfpflicht des Arbeitgebers ist allein die beabsichtigte Besetzung eines freien Arbeitsplatzes. Der Leiharbeitnehmer wird zwar im Regelfall von dem Verleiher dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, ohne dass dieser selbst eine Auswahlentscheidung trifft oder an einer solchen beteiligt wird. Es ist jedoch möglich, dass der Arbeitgeber nach einer entsprechenden Prüfung von der zunächst beabsichtigten Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer Abstand nimmt und stattdessen einen geeigneten schwerbehinderten Bewerber selbst einstellt.
Hinweis für die Praxis:
Diese Rechtsprechung gilt nur für Einstellungen. Bei Versetzungen begründet ein Verstoß des Arbeitgebers gegen § 81 SGB IX hingegen kein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats. Durch die Versetzung eines bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers auf einen frei gewordenen oder neu geschaffenen Arbeitsplatz verwirklichen sich für arbeitslose schwerbehinderte Menschen nicht die mit der Schwerbehinderung verbundenen erhöhten Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Die schwerbehinderten Menschen konkurrieren nicht mit anderen, nicht schwerbehinderten externen Bewerbern, sondern sind wie diese zugunsten schon im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer von der Stellenbesetzung von vornherein ausgeschlossen. Damit wird auch dem Arbeitsmarkt kein Arbeitsplatz „entzogen“.
Fazit:
Arbeitgebern ist zu empfehlen, diese Rechtsprechung streng zu beachten. Andernfalls drohen nicht nur unwirksame Einstellungen, sondern ggf. sogar Ansprüche nach dem AGG. Die Prüf- und Konsultationspflicht nach § 81 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX ist daher ernst zu nehmen und einzuhalten.
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