Berechnung der Erbschaftsteuer beim Berliner Testament
Das Berliner Testament ist – wenn auch nicht immer aus erbschaftsteuerlichen Gründen – zu Recht ein beliebtes Gestaltungsinstrument der Vermögensnachfolge für Ehegatten. Zumeist werden die eigenen Kinder als Schlusserben nach dem längerlebenden Ehegatten eingesetzt. Sind keine gemeinsamen Kinder vorhanden, werden als Schlusserben oft Geschwister oder deren Kinder eingesetzt. Dann aber taucht das Problem auf, dass zwischen diesen Erben und den beiden Erblassern regelmäßig verschiedene Verwandtschaftsgrade bestehen – und daraus folgend verschiedene Steuerklassen und Steuersätze.
Ein Beispiel:
Die angeheiratete Tante ist eben nicht mit den Neffen des leiblichen („echten“) Onkels verwandt. Verstirbt die Tante zuerst und erst dann der Onkel, so erben die Neffen direkt vom verwandten Onkel, also in Steuerklasse II und mit einem Eingangssteuersatz von 15%. Bei der anderen Versterbensreihenfolge erben die Neffen von der nicht mit ihnen verwandten Tante, also in Steuerklasse III mit einem Eingangssteuersatz von 30%.
Dieses Problem erkennt auch § 15 Abs. 3 ErbStG, löst es aber nicht zweifelsfrei. § 15 Abs. 3 ErbStG lautet:
Im Falle des § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und soweit der überlebende Ehegatte oder der überlebende Lebenspartner an die Verfügung gebunden ist, ist auf Antrag der Versteuerung das Verhältnis des Schlusserben oder Vermächtnisnehmers zum zuerst verstorbenen Ehegatten oder dem zuerst verstorbenen Lebenspartner zugrunde zu legen, soweit sein Vermögen beim Tod des überlebenden Ehegatten oder des überlebenden Lebenspartners noch vorhanden ist. § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
§ 6 Abs. 2 ErbStG wiederum lautet:
1Bei Eintritt der Nacherbfolge haben diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. 2Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen. 3Geht in diesem Fall auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln. 4Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist. 5Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde.
Einen besonders instruktiven Fall zur Berechnung der Erbschaftsteuer bei einem solchen Berliner Testament hat zuletzt der BFH entschieden (BFH 09.07.2009, II R 42/07 (NV), BFH/NV 2009 S. 1994).
Der Fall:
(abgewandelt und an das neue Erbschaftsteuerrecht angepasst)
Alleinerbin des O war aufgrund des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments seine Ehefrau (E). Als Schlusserben hatten die Eheleute die vier Kinder des Bruders des O, darunter die Klägerin, und den Bruder der E zu gleichen Teilen eingesetzt. Schließlich starb auch E. Die Summe der hinterlassenen Vermögenswerte betrug 1.000.000 €, worauf 1/5 (200.000 €) auf die Klägerin entfiel. Im Nachlass der E befand sich von O stammendes Vermögen von 600.000 €. Nach dem Tod der E ist streitig, wie die Kinder des Bruders des O den Erbanfall nach dem Tod der Tante E zu versteuern haben.
Die Entscheidung:
Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG sind im Fall des § 2269 BGB und soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügung gebunden ist, die mit dem verstorbenen Ehegatten näher verwandten Erben und Vermächtnisnehmer als seine Erben anzusehen, soweit sein Vermögen beim Tod des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist.
Die erbrechtliche Beurteilung
- Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament (vgl. § 2265 BGB), durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tod des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist nach § 2269 Abs. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist.
- Der Dritte ist der sog. Schlusserbe.
- Der Schlusserbe ist von jedem Ehegatten als sein Ersatzerbe (§ 2096 BGB) berufen für den Fall, dass der als Erbe berufene andere Ehegatte zuerst stirbt und deshalb nicht Erbe wird.
- Der überlebende Ehegatte wird beim Tod des anderen Ehegatten Vollerbe.
- Dadurch vereinigt sich in seiner Hand sein eigenes Vermögen mit dem Nachlass des Erstverstorbenen zu einem einheitlichen Vermögen, über das er unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen kann. Was von dem Vermögen bei seinem Tod noch vorhanden ist, geht auf den Schlusserben als seinen Erben über.
Die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung
Die erbschaftsteuerrechtliche Regelung in § 15 Abs. 3 ErbStG folgt dieser zivilrechtlichen Beurteilung nicht.
Der zivilrechtlich als Einheit zu beurteilende Nachlass des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist für die Erbschaftsteuer aufzuteilen, und zwar
- in das vom zuerst verstorbenen Ehegatten stammende Vermögen, das beim Tod des Letztverstorbenen noch vorhanden ist,
- und den übrigen Nachlass.
Der mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandte Schlusserbe ist im Hinblick auf das von diesem stammende Vermögen erbschaftsteuerrechtlich so zu behandeln, als ob er es unmittelbar als Erbe von diesem Ehegatten erworben hätte.
Gehen in den in § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG geregelten Fällen beim Tod des länger lebenden Ehegatten sowohl noch vorhandenes Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten als auch eigenes Vermögen des anderen Ehegatten auf den Schlusserben über, sind in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln.
- Für das eigene Vermögen des länger lebenden Ehegatten kann ein Freibetrag dabei nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das vom zuerst verstorbenen Ehegatten stammende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG).
- Die Steuer ist für jeden Erwerb gemäß § 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde.
- Im Übrigen bleibt die zivilrechtliche Einheit des Erwerbs auch für die Besteuerung maßgebend.
- Die für die fiktiven Erwerbe des Schlusserben von den beiden Ehegatten anzuwendenden Steuersätze richten sich gemäß § 15 Abs. 3 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG einerseits nach dessen zu den Ehegatten bestehenden persönlichen Verhältnissen i.S. des § 15 Abs. 1 ErbStG und andererseits nach dem gesamten Erwerb.
- Allein der Wert des gesamten Erwerbs ist der in § 19 Abs. 1 ErbStG dafür vorgesehenen Wertstufe zuzuordnen und zusammen mit der Steuerklasse für die Bestimmung der Steuersätze für die fiktiven Einzelerwerbe maßgebend.
- Unerheblich für die Besteuerung ist es, welcher der Wertstufen diese Einzelerwerbe für sich allein zuzuordnen wären.
- Dies schließt es auch aus, den Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG auf die fiktiven Einzelerwerbe des Schlusserben vorzunehmen. Der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG ist nur zu gewähren, soweit der Wert des gesamten Erwerbs eine der in § 19 Abs. 1 ErbStG bestimmten Wertgrenzen überschreitet und in einen Bereich fällt, in dem der Wertausgleich vorzunehmen ist.
Die Steuerberechnung:
Die Erbschaftsteuer ist danach wie folgt festzusetzen:
- Auf die Klägerin entfällt ein Anteil von 1/4 des beim Tod der E noch vorhandenen Vermögens des O von 600.000 €, also 150.000 €. Nach Abzug des persönlichen Freibetrags von 20.000 € (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse II Nr. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) verbleiben 130.000 €. Da der nach § 15 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG für die Bestimmung des Steuersatzes maßgebende gesamte Erwerb der Klägerin von 200.000 € über der Grenze von 75.000 € liegt, beträgt der Steuersatz nach § 19 Abs. 1 ErbStG in der Steuerklasse II 20%. Daraus errechnet sich eine Steuer von 26.000 €.
- Der fiktive Erwerb der Klägerin von E beträgt 200.000 € abzüglich des fiktiven Erwerbs von O in Höhe von 150.000 €, also 50.000 €. Der Steuersatz in Steuerklasse III (§ 15 Abs. 1 ErbStG) beläuft sich gemäß § 19 Abs. 1 ErbStG auf 30%. Die Steuer auf den Erwerb von E beträgt somit 30% von 50.000 €, also 15.000 €.
- Die Gesamtsteuerbelastung der Klägerin beträgt damit 41.000 €
Auszeichnungen
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2022/2023)
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„Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuerrecht“(JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017-2021)
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